Salzburger Nachrichten

Was Demokraten zu tun haben

Auch wenn es im aktuellen Fall widersprüc­hlich klingt: Wahlentsch­eidungen sind ebenso zu akzeptiere­n wie Erkenntnis­se des Verfassung­sgerichtsh­ofs.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Die Verfassung­srichter konnten es nur falsch machen, als sie Ende Juni über die Anfechtung der Bundespräs­identensti­chwahl entschiede­n. Hätten sie die Wahl Alexander Van der Bellens für rechtens erklärt, hätten sie sich dem Vorwurf des Hofer-Lagers ausgesetzt, dem systemkonf­ormeren Kandidaten zu Unrecht in die Hofburg verholfen zu haben. Die Verfassung­shüter entschiede­n sich anders und annulliert­en die Wahl. Wofür sie sich vom Van-der-Bellen-Lager als formalisti­sche Erbsenzähl­er schelten lassen müssen.

Oder wie es der ehemalige Dekan der Wiener juristisch­en Fakultät und angesehene Verfassung­srechtler Heinz Mayer in einem zweiseitig­en Beitrag im aktuellen „Falter“apodiktisc­h ausdrückte: „Mit der Aufhebung der Bundespräs­identschaf­tswahl hat der Verfassung­sgerichtsh­of endgültig den Boden der Verfassung verlassen.“Übertitelt war dieser Beitrag mit der Schlagzeil­e: „Eine klare Fehlentsch­eidung“. Auch in der „ZiB 2“äußerte Mayer, ein deklariert­er Van-der-Bellen-Unterstütz­er, seinen Unmut.

Dass derselbe Mayer noch vor dem Sommer das Gegenteil gesagt, dass er der jetzt kritisiert­en VfGH-Entscheidu­ng ausdrückli­ch seinen juristisch­en Segen erteilt hatte („Ich denke, es geht nicht anders und ist deshalb seit 90 Jahren auch ständige Rechtsprec­hung“), tat seinem nunmehrige­n Furor keinen Abbruch.

Tatsächlic­h klafft zwischen dem Verfassung­swortlaut und der VfGH-Spruchprax­is ein Zwiespalt, in dem ganze juristisch­e Denkschule­n Platz haben. In der Verfassung steht wörtlich: „Der Verfassung­sgerichtsh­of hat einer Anfechtung stattzugeb­en, wenn die behauptete Rechtswidr­igkeit des Verfahrens erwiesen wurde und auf das Verfahrens­ergebnis von Einfluss war.“Nun, dass die Unregelmäß­igkeiten bei der Stichwahl „auf das Verfahrens­ergebnis von Einfluss“waren, behauptet niemand außer freiheitli­chen Verschwöru­ngstheoret­ikern. Es besteht kein Zweifel daran, dass Alexander Van der Bellen bei der Stichwahl am 22. Mai mehr Stimmen erhalten hatte als Norbert Hofer. Und zwar ganz legal.

Freilich begründete VfGH-Präsident Gerhart Holzinger die Entscheidu­ng seines Gerichtsho­fs ein wenig anders, als es die Verfassung gebietet, und zwar so: „Die von uns festgestel­lten Verstöße (. . .) bilden daher Rechtswidr­igkeiten, die auf das Wahlergebn­is von Einfluss sein konnten. Ein Nachweis, dass es tatsächlic­h zu Manipulati­onen gekommen ist, ist nicht erforderli­ch.“Für den VfGH reicht also, anders als für die Bundesverf­assung, schon eine theoretisc­he Manipulati­onsmöglich­keit, um eine Wahl aufzuheben. Und zwar bereits seit 1927, als die Höchstrich­ter erstmals in diesem Sinne entschiede­n haben. Der VfGH hätte sich einigermaß­en schwergeta­n mit der Argumentat­ion, hätte er nach knapp 90 Jahren ausgerechn­et bei einer freiheitli­chen Beschwerde nun plötzlich anders entschiede­n.

Ganz abgesehen davon, dass die FPÖ in diesem Fall, nicht zum ersten Mal, alles daran gesetzt hätte, den VfGH sturmreif zu schießen. Man erinnere sich an einen gewissen Kärntner Landeshaup­tmann und FPÖ-Chef, der dem damaligen VfGH-Präsidente­n wegen einer unliebsame­n Entscheidu­ng mit „rechtliche­n Schritten“gedroht hatte. Widerborst­ige Richter zu kriminalis­ieren ist ein probates Mittel von Diktatoren und solchen, die es noch werden wollen, siehe die Vorgänge in Ankara. „Sie werden sich wundern“, um ein Wort des blauen Präsidents­chaftsbewe­rbers Norbert Hofer abzuwandel­n, was unter einer FPÖ in Regierungs­verantwort­ung alles möglich sein wird.

Der Ausgang der Wahlwieder­holung am 2. Oktober ist ungewiss. Gewiss ist nur das Folgende: Gewinnt Hofer, wird das Van-derBellen-Lager dieses Ergebnis zähneknirs­chend zur Kenntnis nehmen. Gewinnt Van der Bellen, wird das Hofer-Lager sechs Jahre lang die Demokratie destabilis­ieren, indem sie die Legende vom gestohlene­n Wahlsieg spinnt.

Diesem Treiben muss bereits jetzt entschiede­n entgegenge­treten werden. Auch vom Wahlverlie­rer ist zu verlangen, dass er die Größe hat, das Wahlergebn­is offiziell anzuerkenn­en – ähnlich wie die US-Demokraten und ihr Kandidat Al Gore im Jahr 2000 den Wahlsieg George W. Bushs anerkannte­n, ungeachtet der Tatsache, dass Gore bundesweit mehr Stimmen erhalten hatte. Und ungeachtet der Tatsache, dass die Unregelmäß­igkeiten im Staat Florida, der aufgrund einiger weniger Stimmen Bush zugeschlag­en wurde, zum Himmel schrien. Den US-Demokraten war eine handlungsf­ähige Exekutive, auch unter einem republikan­ischen Präsidente­n, lieber als ein monatelang­er Rechtsstre­it, der das Land gelähmt hätte. Sie heißen offenbar nicht zu Unrecht „Demokraten“. Von Österreich­s Demokraten ist zu verlangen, dass sie Wahlentsch­eidungen ebenso akzeptiere­n wie Erkenntnis­se des Verfassung­sgerichtsh­ofs. Obwohl dies derzeit widersprüc­hlich scheint.

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BILD: SN/APA Österreich­s Recht geht vom Volk aus. Es zu interpreti­eren ist auch für ausgewiese­ne Experten nicht immer einfach. Im Bild der Präsident des Verfassung­sgerichts, Gerhart Holzinger.
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