Die Jazzwelt ist unerhört weit gefächert
Wie klingt es, wenn ein koreanischer Schamane mit US-Jazzern zaubert? Saalfelden hatte auch heuer manche Überraschung auf Lager.
SAALFELDEN. Nur der Bandname wollte nicht ganz zur Atmosphäre passen. Draußen vor dem Saalfeldner Congress hatte es immerhin noch 30 Grad, als am Samstagnachmittag das amerikanisch-koreanische Trio Chiri die Hauptbühne betrat. Chiri bedeute so viel wie Frost oder Kälte, erläuterte Festivalsprecher Harald Friedl. Wenn Sänger Bae Il Dong mit kehlig rauer, immer wieder in schluchzende Obertöne kippender Stimme von Liebe, Trauer und ohnmächtigem Schmerz singt, wird sie eindringlich spürbar.
Doch selbst auf einem Festival, bei dem ungewohnte Klänge seit jeher die Norm sind, konnte man sich als Zuhörer zunächst ein wenig fühlen wie Hollywoodstar Bill Murray, der im Film „Lost in Translation“verloren durch Tokio irrt, weil er weder die sprachlichen noch die kulturellen Codes Asiens dechiffrieren kann.
Darf man schmunzeln müssen, wenn der Schamane und Sänger, angefeuert von Freejazz-Trompeter Scott Tinkler und Schlagzeuger Simon Barker, theatralisch den Fächer zum fremdartigen Klagegesang hebt? Die Intensität, mit der das Trio in archaischen Gefühlsschichten wühlte, brauchte dann allerdings keine Übersetzung und ließ keineswegs kalt.
Die Frage, wie die Botschaften ankommen, die von den Musikern ins Publikum geschickt werden, ist ohnehin nirgends so individuell zu beantworten wie im Jazz. In einer experimentierfreudigen Szene, die als einzigen gemeinsamen Nenner die radikale Eigenständigkeit kennt, pflegt jeder Protagonist und jede Band ihre eigene Sprache.
Während das Jazzfestival Saalfelden bei seinem Neustart nach der Zwangspause 2006 vom Stadtrand ins Zentrum gewandert ist, haben sich die Programmintendanten Michaela Mayer und Mario Steidl im vergangenen Jahrzehnt immer mehr von der Vorstellung verabschiedet, dass es im Jazz experimenteller Prägung auch musikalisch noch so etwas wie ein Zentrum geben könnte. In der diesjährigen Ausgabe fiel der Verzicht auf große Namen zugunsten von Unerhörtem wie dem Trio Chiri besonders auf. Diese Risikobereitschaft wird von den Saalfelden-Fans geschätzt. Freilich muss dabei nicht alles gut gehen. Cellistin Tomeka Reid und Gitarristin Mary Halvorson etwa hatten es nach Chiri schwer, mit ihren verhalten temperierten Improvisationen durchzudringen. Und das Heavy-Jazz-Quartett von Trompeter Daniel Rosenboom gefiel sich statt in versprochenen UntergrundBotschaften in eingeübten Posen und formelhaften Gitarrensoli.
Unverstellt klang hingegen die Spielenergie, mit der Jim Blacks Projekt Malamute in der Nebenreihe Short Cuts begeisterte. Das Ansinnen, mit beständig wechselnden Klangtexturen eine Musik für eine Ära der kurzen Aufmerksamkeitsspannen zu erspielen, endete keineswegs in der Zerstreuung. Auch widersprüchliche Zutaten zwischen Sofa-Jazz und fiependen Elektrosounds verwoben Schlagzeuger Black, Saxofonist Óskar Guðjónsson, Bassist Chris Tordini und Pianist Elias Stemeseder zu einem konzentrierten Soundgebräu.
Wer im weit gefächerten Saalfelden-Spektrum nach Verbindungslinien suchen wollte, fand sie etwa in gitarrenlastigen Trios wie Krokofant und Edi Nulz. Bei den Großformationen wiederum setzte Paal Nilssen-Love ebenso auf die Kraft von zwei Schlagzeugen und zwei Bässen wie Lukas Kranzelbinder im Eröffnungsprojekt „Shake Stew“.
Zu später Stunde gab es am Samstag aber auch ein Beispiel dafür zu hören, wie spontan die Verständigung in einer Kunst der individuellen Sprachen funktionieren kann. Weil in der Allstar-Band von Emile Parisien der Schlagzeuger Anreiseprobleme hatte, sprang kurzfristig der österreichische Rhythmusvirtuose Wolfgang Reisinger für die ersten Nummern ein. Eigentlich war er nur als Gast nach Saalfelden gereist. Für ihn gab es einhelligen Sonderjubel.