Ein junger Flüchtling schnuppert Demokratie
Die meisten Asylsuchenden, die nach Österreich kommen, kennen Politik nur als Motor für Konflikte und Kriege. Wie man jemandem die Demokratie zeigt.
und die demokratischen Grundpfeiler Österreichs sind dabei oft kein Thema. Dabei fliehen Asylbewerber aus Syrien, dem Irak und Afghanistan auch wegen des Versagens der Politik. Der 16-jährige Alamgeer hat noch nie ein Parlament von innen gesehen. Weder in Afghanistan noch auf seiner Fluchtroute. Wie erklärt man jemandem Demokratie, der aus seiner Heimat nur Krieg und Chaos kennt? „Vielleicht am besten langsam mit einfachen Beispielen“, sagt der Fremdenführer Ernesto Patricio Orellana Cruz. Er führt immer wieder Jugendliche und Kinder durch das Parlament. Weil es an jeder Ecke des Hohen Hauses Geschichte zum Anfassen gebe, seien alle Altersgruppen meist schnell begeistert von dem Gebäude. Jeder kann eine Führung im österreichischen Parlament machen. Eine Stunde dauert der Besuch, bis 17 Uhr ist das Haus an der Ringstraße geöffnet. Cruz erzählt dann, dass die Erbauer des Parlaments an einen griechischen Tempel dachten, die Geburtsstätte der Demokratie – oder dass Hunderte Besucher auf der Galerie des Sitzungssaals jeder Sitzung lauschen können. Wer darf hier wann herein? „Zunächst einmal jeder. Denn das Parlament gehört uns allen“, sagt der Fremdenführer. Staunen. Nächste Station ist der histori- sche Sitzungssaal. Cruz erzählt, wie früher Politik gemacht wurde. Tintenfässer flogen durch die Lüfte und lautstark wurde mit den Tischen geklappert. All das, um den politischen Gegner zu stören. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, sagt Alamgeer.
Solche Bilder kenne er nur aus dem Parlament in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Die letzte Parlamentswahl in Afghanistan fand im September 2010 statt. Viele Wahllokale konnten aufgrund der Drohungen der Taliban nicht geöffnet werden. Erst diesen März schoss die islamistische Terrorgruppe vier Raketen auf das Parlament in Kabul ab. Auch das österreichische Parlament wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben teilweise zerstört, darunter zwei Säulen in der Säulenhalle. Sie wurden durch neue ersetzt – nur Kenner wissen, um welche es sich handelt. „Ein Krieg in Österreich?“Cruz erzählt eine Kurzfassung. Alamgeer lauscht ungläubig.
Im Bundesratssaal fragt Alamgeer: „Darf ich da durchgehen?“„Ja klar“, sagt Cruz und fragt nach: „Wem gehört das Parlament?“Stille. „Richtig, allen“, sagt der Fremdenführer. Demokratie lernt man eben langsam.