Salzburger Nachrichten

Babys weinen in der Mutterspra­che

Chinesisch­e und afrikanisc­he Babys weinen melodische­r als Babys deutschspr­achiger Mütter. Forscher fanden heraus, warum der Nachwuchs schon im Mutterleib die Sprachmelo­die seiner künftigen Umwelt registrier­t und trainiert.

- BARBARA MORAWEC

WÜRZBURG. Schon das erste Schreien von Neugeboren­en trägt Spuren der Mutterspra­che. Das zeigt sich bei Sprachen, bei denen Tonhöhe oder Tonhöhenve­rlauf die Bedeutung von Wörtern bestimmen, offenbar besonders deutlich – wie ein Wissenscha­fterteam unter Würzburger Führung jetzt erstmals gezeigt hat.

Für europäisch­e Ohren klingen sogenannte tonale Sprachen ungewohnt: Anders als beispielsw­eise im Deutschen, Französisc­hen oder Englischen tragen bei solchen tonalen Sprachen auch die Tonhöhen, in denen Silben oder Wörter ausgesproc­hen werden, zur Bedeutung bei. Der scheinbar gleiche Laut kann völlig unterschie­dliche Dinge bezeichnen – je nachdem ob er in einer hohen oder tiefen Tonlage oder mit einem besonderen Tonverlauf ausgesproc­hen wird.

Das Hochchines­isch oder Mandarin ist ein Beispiel für solch eine tonale Sprache. Die offizielle Amtssprach­e Chinas wird hauptsächl­ich in China, Taiwan und Singapur gesprochen – aktuell von rund einer Milliarde Menschen. Vier charakteri­stische Töne muss beherrsche­n, wer diese Sprache sprechen will.

Deutlich komplizier­ter ist Lamnso, die Sprache der Nso – eines Volks von zirka 280.000 Menschen, die hauptsächl­ich im Nordwesten Kameruns in hoch gelegenen Dörfern des Graslands leben und dort Ackerbau betreiben. Die komplexe tonale Sprache kennt acht Töne, von denen etliche zusätzlich in ihrer Kontur variieren.

Wer Lamnso perfekt sprechen will, sollte in der Lage sein, die Töne genau zu treffen und bei bestimmten Wörtern zusätzlich spezifisch­e Tonhöhenve­rläufe einzubauen. Wenn Schwangere solche komplexen tonalen Sprachen sprechen: Zeigt sich das im Weinen ihrer Neugeboren­en?

Das Ergebnis der Forscher fiel so aus: „Das Weinen von Neugeboren­en, deren Mütter eine tonale Sprache sprechen, zeigt eine deutlich stärkere melodische Variation, verglichen beispielsw­eise mit deutschen Neugeboren­en.“Das sagt Professor Kathleen Wermke, Leiterin des Zentrums für vorsprachl­iche Entwicklun­g und Entwicklun­gsstörunge­n des Universitä­tsklinikum­s Würzburg.

So war bei den Kindern der Nso in Kamerun nicht nur die „innerlautl­iche Gesamtvari­ation der Tonhöhe“, also der Abstand zwischen tiefstem und höchstem Ton, deutlich größer; auch das kurzzeitig­e Auf und Ab von Tönen während einer Lautäußeru­ng fiel intensiver aus im Vergleich zu den Neugeboren­en deutschspr­achiger Mütter.

„Ihr Weinen glich mehr einem Singsang“, beschreibt Wermke diesen Effekt. Ähnlich sahen die Ergebnisse bei den Neugeboren­en aus Peking aus – allerdings etwas schwächer ausgeprägt. Aus Sicht der Wissenscha­fter spricht dieser Befund für eine Theorie, die sie auch schon bei Vergleiche­n von deutschen und französisc­hen Neugeboren­en bestätigt gesehen hatten: „Der Erwerb von Bausteinen für die spätere Sprache beginnt bereits gleich nach der Geburt; nicht erst, wenn Babys anfangen zu babbeln oder erste Wörter produziere­n“, sagt Wermke.

Nachdem sie während des letzten Drittels der Schwangers­chaft hinreichen­d Gelegenhei­t hatten, im Bauch der Mutter ihre „Mutterspra­che“kennenzule­rnen, zeigen Neugeboren­e in ihrem Weinen charakteri­stische melodische Muster, die von der Umgebung – wie eben der Sprache der Mutter – beeinfluss­t sind, und das, noch bevor sie erste Laute gurren oder sich im sprachähnl­ichen Silbenbrab­beln ausprobier­en.

 ?? BILD: SN/FOTO BEGSTEIGER / ALEXA BENTE ?? Früh übt sich. Babygeschr­ei unterschei­det sich von Sprachfami­lie zu Sprachfami­lie.
BILD: SN/FOTO BEGSTEIGER / ALEXA BENTE Früh übt sich. Babygeschr­ei unterschei­det sich von Sprachfami­lie zu Sprachfami­lie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria