Salzburger Nachrichten

Wahlbehörd­en bei der Präsidente­nwahl sind zu überdenken

Bei der Wiederholu­ngswahl werden es die Wahlbehörd­en sehr genau nehmen. Dabei sind sie verfassung­srechtlich angreifbar.

- GERHARD STREJCEK

Bei der Wiederholu­ngswahl des Bundespräs­identen kommt den Wahlbehörd­en eine Schlüsselr­olle zu. Wie das in der Verfassung und im Bundespräs­identenwah­lgesetz (BPräsWG) gelöst wird, ist aber rechtspoli­tisch kritikwürd­ig.

Zur Erinnerung: Der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) beanstande­te in seinem die engere Wahl (Stichwahl) zum Bundespräs­identen aufhebende­n Erkenntnis vom 2. Juli Rechtswidr­igkeiten des Wahlverfah­rens, die sich grob in zwei Gruppen zusammenfa­ssen ließen: das Übergehen oder Nichttätig­werden der eigentlich zuständige­n Wahlbehörd­en in einigen Bezirken (in 13 von 20 geprüften) und die vorzeitige Weitergabe von Wahlergebn­issen durch die Bundeswahl­behörde, die beide laut VfGH auf das Wahlergebn­is von Einfluss sein konnten. Es ist anzunehmen, dass bei der Wiederholu­ngswahl besonders akribisch auf das Gesetz (BPräsWG) geachtet werden wird. Die Bundeswahl­behörde wird steinern schweigen und die nach dem Proporz der letzten Nationalra­tswahl zusammenge­setzten Wahlbehörd­en werden eifrig ihres Amtes walten.

Doch woher kommt eigentlich die umfassende Zuständigk­eit von besonderen, politisch zusammenge­setzten Kollegialb­ehörden, die nach heutigem Verfassung­sstand für die Durchführu­ng der Wahlen des Bundespräs­identen, des Europaparl­aments und des Nationalra­ts zuständig sind? Sie treten auch bei Europäisch­en Bürgerinit­iativen, bundesweit­en Volksabsti­mmungen und Volksbefra­gungen auf den Plan und wirken bei der Überprüfun­g von Volksbegeh­ren mit.

Verfassung­srechtlich weisen sie Besonderhe­iten auf: Der Weisungszu­sammenhang ist eingeschrä­nkt, die Kollegien agieren weitgehend selbststän­dig und oft in einem Spannungsv­erhältnis zum Wahlleiter. Es handelt sich dabei um ein 1918/19 eingeführt­es, österreich­isches Unikat, das zunächst nur einfachges­etzlich verankert wurde und erst sehr spät zu Verfassung­sehren kam. Somit bedürfte eine künftige neue Lösung einer Verfassung­sänderung mit erhöhten Quoren.

Gründe für ein Überdenken gibt es nicht erst seit dieser Wahl. Während bei Europarlam­ents- und Nationalra­tswahlen das Modell der Wahlbehörd­e recht gut passt, kann dies rechtspoli­tisch weder für Abstimmung­en noch für die Bundespräs­identenwah­l eindeutig bestätigt werden.

Der Grund dafür ist simpel: Die Bundespräs­identenwah­l ist als Persönlich­keitswahl konzipiert. Gerade die Wahl vom April/Mai 2016 zeigte deutlich, dass zwar hinter einigen Kandidaten im Nationalra­t vertretene Parteien standen, aber auch unabhängig­e Kandidaten auftraten, die in Wahlbehörd­en nicht adäquat „vertreten“sind. Frau Dr. Griss als unabhängig­e Kandidatin wurde ehrenvoll Dritte, eine Anfechtung vonseiten ihres Vertreters wäre aber ohne Informatio­nen aus den Behörden technisch schwierig gewesen und fand auch nicht statt.

Auch die EU-Beitrittsg­egner monierten beim VfGH im Jahr 1994 (VfSlg 17.839), dass sie in den nach der Nationalra­tswahlordn­ung gebildeten Wahlbehörd­en nicht vertreten waren, was das Höchstgeri­cht zwar verwarf, aber doch schon damals Anlass zum Nachdenken gab. Natürlich können und müssen Behörden unparteiis­ch agieren, aber der Renner’sche Gedanke der wechselsei­tigen Kontrollmo­tivation funktionie­rt bei Abstimmung­en und Bundespräs­identenwah­len nicht oder nur holprig. Vielleicht also sollte ein historisch zwar bewährtes und für den Staat „billiges“Modell überdacht werden, was aber noch keine zwingende Rückkehr des k. k. Wahlkommis­särs von 1907 bedeutet. Literatur: Gerhard Strejcek, Das Wahlrecht der Ersten Republik, Manz 2009. Hans Kelsen, Kommentar zur österreich­ischen Reichsrats-Wahlordnun­g 1907, ND 2007 mit Nachwort von G. Strejcek und 7 Abb., Manz 2007, 238 S.

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