Wahlbehörden bei der Präsidentenwahl sind zu überdenken
Bei der Wiederholungswahl werden es die Wahlbehörden sehr genau nehmen. Dabei sind sie verfassungsrechtlich angreifbar.
Bei der Wiederholungswahl des Bundespräsidenten kommt den Wahlbehörden eine Schlüsselrolle zu. Wie das in der Verfassung und im Bundespräsidentenwahlgesetz (BPräsWG) gelöst wird, ist aber rechtspolitisch kritikwürdig.
Zur Erinnerung: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) beanstandete in seinem die engere Wahl (Stichwahl) zum Bundespräsidenten aufhebenden Erkenntnis vom 2. Juli Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens, die sich grob in zwei Gruppen zusammenfassen ließen: das Übergehen oder Nichttätigwerden der eigentlich zuständigen Wahlbehörden in einigen Bezirken (in 13 von 20 geprüften) und die vorzeitige Weitergabe von Wahlergebnissen durch die Bundeswahlbehörde, die beide laut VfGH auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnten. Es ist anzunehmen, dass bei der Wiederholungswahl besonders akribisch auf das Gesetz (BPräsWG) geachtet werden wird. Die Bundeswahlbehörde wird steinern schweigen und die nach dem Proporz der letzten Nationalratswahl zusammengesetzten Wahlbehörden werden eifrig ihres Amtes walten.
Doch woher kommt eigentlich die umfassende Zuständigkeit von besonderen, politisch zusammengesetzten Kollegialbehörden, die nach heutigem Verfassungsstand für die Durchführung der Wahlen des Bundespräsidenten, des Europaparlaments und des Nationalrats zuständig sind? Sie treten auch bei Europäischen Bürgerinitiativen, bundesweiten Volksabstimmungen und Volksbefragungen auf den Plan und wirken bei der Überprüfung von Volksbegehren mit.
Verfassungsrechtlich weisen sie Besonderheiten auf: Der Weisungszusammenhang ist eingeschränkt, die Kollegien agieren weitgehend selbstständig und oft in einem Spannungsverhältnis zum Wahlleiter. Es handelt sich dabei um ein 1918/19 eingeführtes, österreichisches Unikat, das zunächst nur einfachgesetzlich verankert wurde und erst sehr spät zu Verfassungsehren kam. Somit bedürfte eine künftige neue Lösung einer Verfassungsänderung mit erhöhten Quoren.
Gründe für ein Überdenken gibt es nicht erst seit dieser Wahl. Während bei Europarlaments- und Nationalratswahlen das Modell der Wahlbehörde recht gut passt, kann dies rechtspolitisch weder für Abstimmungen noch für die Bundespräsidentenwahl eindeutig bestätigt werden.
Der Grund dafür ist simpel: Die Bundespräsidentenwahl ist als Persönlichkeitswahl konzipiert. Gerade die Wahl vom April/Mai 2016 zeigte deutlich, dass zwar hinter einigen Kandidaten im Nationalrat vertretene Parteien standen, aber auch unabhängige Kandidaten auftraten, die in Wahlbehörden nicht adäquat „vertreten“sind. Frau Dr. Griss als unabhängige Kandidatin wurde ehrenvoll Dritte, eine Anfechtung vonseiten ihres Vertreters wäre aber ohne Informationen aus den Behörden technisch schwierig gewesen und fand auch nicht statt.
Auch die EU-Beitrittsgegner monierten beim VfGH im Jahr 1994 (VfSlg 17.839), dass sie in den nach der Nationalratswahlordnung gebildeten Wahlbehörden nicht vertreten waren, was das Höchstgericht zwar verwarf, aber doch schon damals Anlass zum Nachdenken gab. Natürlich können und müssen Behörden unparteiisch agieren, aber der Renner’sche Gedanke der wechselseitigen Kontrollmotivation funktioniert bei Abstimmungen und Bundespräsidentenwahlen nicht oder nur holprig. Vielleicht also sollte ein historisch zwar bewährtes und für den Staat „billiges“Modell überdacht werden, was aber noch keine zwingende Rückkehr des k. k. Wahlkommissärs von 1907 bedeutet. Literatur: Gerhard Strejcek, Das Wahlrecht der Ersten Republik, Manz 2009. Hans Kelsen, Kommentar zur österreichischen Reichsrats-Wahlordnung 1907, ND 2007 mit Nachwort von G. Strejcek und 7 Abb., Manz 2007, 238 S.