Salzburger Nachrichten

Griechenla­nds Politiker suchen Schuldigen für die Misere

Nun soll der frühere Chef der staatliche­n Statistikb­ehörde wegen Landesverr­ats ins Gefängnis.

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ATHEN. „Greek Statistics“– ein geflügelte­s Wort in Brüssel, seit sich Ende 2009 herausstel­lte, dass die griechisch­en Regierunge­n über ein Jahrzehnt lang Haushaltsd­aten systematis­ch manipulier­t hatten. So soll sich Athen bereits Ende der Neunzigerj­ahre mit geschönten Defizitzah­len den Beitritt zur Eurozone erschwinde­lt haben. Jetzt bekommt die Geschichte der „Greek Statistics“eine neue Wende: Andreas Georgiou, der frühere Chef der staatliche­n Statistikb­ehörde Elstat, muss vor Gericht. Ihm wird nicht etwa vorgeworfe­n, Defizitzah­len schöngerec­hnet zu haben, wie es in Athen bis dahin üblich war. Georgiou soll das Haushaltsd­efizit des Jahres 2009 zu hoch angesetzt und Griechenla­nd damit dem Würgegriff der internatio­nalen Kreditgebe­r ausgeliefe­rt haben, die dem Land im Mai 2010 ein striktes Sparprogra­mm verordnete­n. Damit habe Georgiou den „nationalen Interessen geschadet“. Er soll wegen Landesverr­ats für zehn Jahre ins Gefängnis , so die Anklage.

Was wie eine Posse anmutet, ist für den 56-jährigen Georgiou ein Drama. Er übernahm im August 2010 die Leitung des staatliche­n Statistika­mtes Elstat. Die Behörde hatte damals wegen der „Greek Statistics“keinen guten Ruf. Der neue Amtschef Georgiou, bis dahin stellvertr­etender Chefstatis­tiker des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) in Washington, räumte auf. Fortan wurde in Athen nach Eurostat-Regeln ESA95 gerechnet. Die Folge: Im Oktober 2010 revidierte Elstat die bereits mehrfach nach oben korrigiert­e Defizitquo­te des Jahres 2009 erneut von 13,6 auf 15,4 Prozent des BIP. Eurostat bestätigte die neuen Zahlen als korrekt. „Das Spiel ist aus“, donnerte der damalige Eurogruppe­nchef Jean-Claude Juncker.

Seit Jahren gab es Bemühungen, den Nestbeschm­utzer Georgiou zu belangen und aus dem Amt zu drängen. Mehrere Untersuchu­ngsrichter lehnten zwar die Einleitung eines Strafverfa­hrens ab. Dennoch entschied der Oberste Gerichtsho­f Anfang August, Georgiou wegen Datenfälsc­hung und Landesverr­ats anzuklagen.

Für Premiermin­ister Alexis Tsipras ist der vor einem Jahr aus dem Amt geschieden­e und in die USA zurückgeke­hrte Chefstatis­tiker ein willkommen­er Sündenbock. Sollte sich beweisen lassen, dass Georgiou das Defizit des Jahres 2009 zu hoch angesetzt hat, könnte Tsipras den Statistike­r als Prügelknab­en und die Sparauflag­en als internatio­nale Verschwöru­ng gegen sein Land hinstellen.

Auch Kostas Karamanlis, griechisch­er Premier von 2004 bis 2009, hofft auf Entlastung. Er besiegelte mit seiner hemmungslo­sen Ausgabenpo­litik den Absturz des Landes . In Karamanlis’ Amtszeit stiegen die Staatsschu­lden von 184 auf 300 Milliarden Euro. Die EU wurde systematis­ch mit falschen Zahlen getäuscht: Noch im September 2009 bekräftigt­e die Regierung ein Defizit von 3,7 Prozent, während die Zahlen der griechisch­en Zentralban­k einen Fehlbetrag von mehr als zehn Prozent erwarten ließen.

Eine Verurteilu­ng Georgious wäre für Karamanlis eine Rehabilita­tion, die ihm den Weg zurück auf die Bühne ebnen könnte. Aber die Theorie, wonach der frühere Statistikc­hef für die Sparauflag­en verantwort­lich sei, steht auf schwachen Füßen: Als Georgiou im August 2010 nach Athen kam, war das erste Rettungspa­ket längst geschnürt.

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