Der „Ernährer“reitet in Berlin ein
Der Präsident Turkmenistans besuchte Kanzlerin Angela Merkel. Er ist ein Staatschef mit einem deutlichen Hang zur bizarren Despotie.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel empfing gestern, Montag, einen besonderen Gast. Einen, der reihenweise Pferde- und Autorennen gewinnt, Bücher schreibt, sich mit Tee auskennt und gleichzeitig seit 2006 das Land mit den viertgrößten Erdgasreserven der Welt mit eiserner Hand regiert: den turkmenischen Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow.
Der Mann gilt als Pedant, schon als Leiter einer sowjetischen Zahnklinik soll er darauf bestanden haben, dass sämtliche männliche Mitarbeiter Hosen mit perfekter Bügelfalte tragen. Als Gesundheitsminister wurde er 2006 Nachfolger des für seine Despotie berüchtigten Präsidenten Saparmurat Nijasow, der ganze Städte nach seinem Ehrentitel „Turkmenbaschi“benannte (übersetzt: Führer der Turkmenen). Berdimuhamedow eifert ihm nach, lässt sich selbst „Arkadag“(Ernährer) nennen, „Das Herz und Gewissen, die Seele der Nation“, wie ein Dichter den 59-Jährigen bejubelt, hat den Import schwarzer Pkw verboten – die Farbe bringt seiner Ansicht nach Unglück.
Wenn der Präsident eines seiner Bücher verschenkt, stehen die Minister in Turkmenistan stramm. Man nimmt das Werk mit beiden Händen und küsst es andächtig. In islamischer Tradition gebührt solche Ehrfurcht eigentlich nur dem Koran. Doch der Präsident der ehemalige Sowjetrepublik in Zentralasien legt Wert darauf, dass auch seine Worte geschätzt werden. Zu beobachten war das zuletzt im März, als der studierte Zahnarzt über „Tee – Heilmittel und Inspiration“vorstellte, sein 35. Buch.
Wie Vorgänger Nijasow brüstet er sich, das Volk gratis oder zu symbolischen Preisen mit Strom, Gas und Brot zu versorgen, aber die Rationen schrumpfen, der Preis für ein Kilogramm Brot stieg von 2010 bis 2015 von umgerechnet 9 auf 70 Euro-Cent. Nach offiziellen Angaben liegt das jährliche Wirtschaftswachstum bei gewaltigen 20 Prozent, manche Experten schätzen eher, dass die Wirtschaft zuletzt um drei Prozent geschrumpft ist.
Dabei besitzt Turkmenistan mit 17,5 Billionen Kubikmetern fast zehn Prozent der globalen Gasreserven, aber die Exporte sind von den Pipelines des Konkurrenten Russlands abhängig. Korruption blüht, fast alle Großbetriebe werden von Mitgliedern des herrschenden Stamms Achal-Tekke kontrolliert, dem natürlich auch Berdimuhamedow angehört.
Das Durchschnittseinkommen liegt bei 175 Dollar, 40 Prozent der Bevölkerung müssen allerdings mit weniger als zwei Dollar täglich auskommen, laut CIA-Bericht gehört Turkmenistan zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Bildungs- und Gesundheitssystem gelten als bankrott, Nijasow ließ einfach alle Krankenhäuser außerhalb der Hauptstadt schließen, Berdimuhamedow ließ später die Diagnose von Hepatitis, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten schlicht verbieten.
Der bizarre Kult um den Präsidenten ist Ausdruck eines Regimes, das Menschenrechtler zu den repressivsten weltweit zählen – vergleichbar mit Nordkorea. Oppositionelle sind entweder ins Ausland geflohen oder sitzen im Gefängnis. Nach Angaben von Amnesty International verschwanden schon unter Nijasow Dutzende Menschen spurlos hinter Gittern. Und auch Journalisten sind nicht willkommen: Auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit in 180 Ländern rangiert das Land auf dem drittletzten Platz.
Die Organisation Human Rights Watch hat Kanzlerin Merkel aufgefordert, sich bei ihrem Gespräch mit dem Präsidenten für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen. Dem Präsidenten dagegen dürfte es vor allem um die Vermarktung der Bodenschätze gehen. Tatsächlich bot er an, Gas nach Europa zu liefern. Menschenrechtsverletzungen bestritt er.
„Das Herz und Gewissen, die Seele der Nation.“