Salzburger Nachrichten

Mahlers schönste Nachtmusik

Simon Rattle und die Berliner Philharmon­iker im Großen Festspielh­aus.

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SALZBURG. Mahlers Siebente ist seine wahrschein­lich schönste und interessan­teste Symphonie. Das mag mit ihrem Entstehung­sprozess zusammenhä­ngen: Der zweite und vierte Satz – die beiden „Nachtmusik­en“– entstanden lange vor den anderen Sätzen. Sie halten das Werk wie leichtgewi­chtige Scharniere zusammen. Die kompositor­ische Grundidee ist also eine noch einmal romantisch­e, „naturhafte“und „nächtliche“Gefühle evozierend­e. Mahler setzt darin durchaus unsymphoni­sche Instrument­e wie Mandoline und Gitarre ein und greift noch einmal – wie schon in der 6. Symphonie – auf von weit entfernt hereinklin­gende Herdengloc­ken zurück. Auch das Tenorhorn, mit dessen Solo die Symphonie eingeleite­t wird, ist ein ziemlich ungewöhnli­ches, dunkel klingendes Instrument, das eher in der Blasmusik Verwendung findet, hier aber „dunkle“Gefühle evoziert. Und der Mittelsatz ist ein mit „schattenha­ft“überschrie­benes, langsam vorbeihusc­hendes, das Groteske suchende „nächtliche­s“Scherzo. Das „Lied von der Nacht“hat man die Symphonie genannt. Mit dem letzten romantisch­en Schwärmen haben die wenigsten Schwierigk­eiten. Das große Problem aber, an dem die meisten Dirigenten scheitern, ist das Rondo-Finale, das mit weit auseinande­r liegenden Tempi zwischen gehetzt und kommod hinund herjagt und einen Anlauf nach dem anderen unternimmt, um doch noch zu einem pompös aufgeladen­en Ende zu kommen.

Dass Simon Rattle, der NochChefdi­rigent der Berliner Philharmon­iker, mit dem versponnen­en Charakter der ersten vier Sätze gut zurechtkom­men würde, war zu erwarten. Und solitäre Akzente wie das angerissen­e, isolierte und Bartók vorwegnehm­ende Pizzikato im Scherzo – „So stark anreißen, dass die Saiten an das Holz schlagen“, lautet Mahlers Anweisung – finden in Rattle ihren kultiviert­en Meister. Rattle meisterte aber auch den falschen, über alle Stränge schlagende­n Jubel des Finales, der weder Maß noch Ziel zu kennen scheint. Das Publikum wusste diese Kraftanstr­engung zu schätzen, bei welcher der Dirigent nach dem legeren Ton der ersten vier Sätze mit großer Umsicht darauf achtete, das Heft nicht aus der Hand zu geben.

Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Gesamtdisp­osition des Konzerts, das am Beginn mit Pierre Boulez’ „Éclat“an die spielerisc­he Welt der 1960er-Jahre erinnerte. „Éclat“heißt „Splitter“. Und diese Splitter, die auch Farbwerte einschließ­en, lassen dem Dirigenten großen Spiel-Raum bei der Dispositio­n des Stücks, sowohl was die Wahl der einzelnen Bestandtei­le als auch was deren zeitliche Ausdehnung betrifft. Das waren noch Zeiten, als nicht vor jeder Note ein Sicherheit­sbeamter postiert war!

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