„Habe in Notwehr zugestochen“
Ein Iraker stand Montag wegen Mordversuchs vor den Geschworenen, weil er in einer Asylunterkunft auf einen Marokkaner eingestochen hatte. Er beteuerte, sich nur gewehrt zu haben.
„Wenn ich hätte töten wollen, hätte ich mich nicht der Polizei gestellt.“
Tatsache ist: An einem Aprilabend dieses Jahres war es in einer Asylunterkunft in Radstadt zu einem heftigen Streit zwischen einem irakischen Kurden und einem Marokkaner gekommen. Im Spiel war auch ein 20 Zentimeter langes Messer. Tatsache ist weiters: Der 25-jährige Marokkaner erlitt einen Durchstich im Ellbogenbereich des rechten Arms, eine Durchtrennung einer Fingersehne sowie Schnittwunden an der Schulter.
Viereinhalb Monate nach dem blutigen Vorfall sah sich der 27jährige irakische Staatsangehörige nun am Landesgericht mit einer Anklage wegen Mordversuchs konfrontiert. Den Vorwurf von Staatsanwalt Christian Weismann, er habe damals den Marokkaner töten wollen, bestritt der Iraker vehement: „Ich sehe mich nicht als Angeklagter. Ich habe in Notwehr gehandelt.“
Der Iraker, verteidigt von RA Daniel Schöpf, hatte laut eigenen Angaben sieben Jahre bei den Peschmerga (die Kämpfer der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Anm.) gedient. Im Jahr 2014 war er offenbar verwundet worden und dann ohne Familie nach Österreich gekommen, um Asyl zu beantragen.
Zwischen dem Angeklagten und dem Marokkaner war es in der Flüchtlingsunterkunft wegen angeblich gestohlenen Rasierzeuges zum Streit gekommen. „Der Angeklagte hat zuerst das spätere Opfer beleidigt und beschimpft und dann umgekehrt. Zudem hat der Iraker den Marokkaner mit dem Umbringen bedroht“, so der Staatsanwalt. Nachdem andere Asylbewerber den Streit kurz hätten schlichten können, sei der Angeklagte dann plötzlich mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmesser wieder aufgetaucht. Der anschließende Tathergang laut Weismann: „Bei der Tür des Zimmers vom Opfer versuchte der Angeklagte gezielt, auf dessen Kopf zu stechen. Der Marokkaner kann die Attacken vorerst mit den Armen abwehren – der Iraker trifft dabei die Schul- ter des Opfers. Dann flieht das Opfer ins Hintere seines Zimmers und setzt sich mit einem Hocker zur Wehr. Der Iraker führt aber weitere Stichbewegungen gegen den Kopf des Marokkaners und sticht ihm schließlich durch den Unterarm.“Dem Staatsanwalt Der Angeklagte im Prozess zufolge würden die bisherigen Angaben des Opfers, jene von Zeugen sowie das gerichtsmedizinische Gutachten „klar für einen Mordversuch sprechen“.
Verteidiger Daniel Schöpf wies dies entschieden zurück: „Vorweg muss man sagen: Mein Mandant ist Kurde und das Opfer sowie viele andere Bewohner sind Araber. Diese Gruppen verstehen sich nicht gut. Im Quartier herrschte eine emotional aufgeladene Stimmung. Dort sind sehr beengte Verhältnisse. Das brutale, aggressive Verhalten damals ging vom späteren Opfer aus: Der Marokkaner ist zuerst ins Zimmer meines Mandanten eingedrungen.“Laut Schöpf sei die Annahme eines Mordversuchs nicht nachvollziehbar: „Mein Mandant hat allenfalls eine schwere Körperverletzung zu verantworten.“
Der angeklagte Iraker selbst bedankte sich dann gegenüber dem Geschworenengericht (Vorsitz: Günther Nocker), „dass ich in Österreich aufgenommen worden bin. Und dass ich hier die Chance auf einen fairen Prozess bekomme.“In Österreich sei es ihm „gut gegangen“; er habe vor, seine Frau und seine Kinder nachzuholen und „hier eine Zukunft aufzubauen“. Nachsatz des 27-Jährigen: „Doch dann bin ich in dem Heim diesen Arabern begegnet, und alles wurde anders.“
Weil er, so erzählte der Angeklagte, gewusst habe, dass zwei der besagten Araber Schlepper gewesen seien, und diese das mitbekommen hätten, „haben sie mir Probleme gemacht“. Die Männer hätten den 25-jährigen
Marokkaner vorgeschoben, „um mir etwas anzutun“.
Der Angeklagte behauptete weiters, dass der Marokkaner damals in sein Zimmer gekommen sei, ihn beschimpft habe und mit einem Messer auf ihn habe einstechen wollen. „Ich habe ihm das Messer entreißen können. Und als er dann mit einem Hocker auf mich losgegangen ist, habe ich aus Angst, aus Notwehr zugestochen.“Der Angeklagte ergänzte: „Ich habe mich ja selbst der Polizei gestellt. Wenn ich hätte töten wollen, hätte ich mich von der Polizei ferngehalten.“
Apropos fernhalten: Das Opfer erschien am Montag nicht zum Prozess. Der Vorsitzende Richter wollte den Marokkaner vorführen lassen, doch laut Polizeiinspektion Radstadt sei dieser seit 26. August nicht mehr in der Flüchtlingsunterkunft aufgetaucht – und damit wohl untergetaucht. Auch zwei andere Zeugen seien nicht mehr greifbar.
Der Prozess wurde auf den 27. Oktober vertagt. Das Opfer soll ausgeforscht werden.