Salzburger Nachrichten

„Habe in Notwehr zugestoche­n“

Ein Iraker stand Montag wegen Mordversuc­hs vor den Geschworen­en, weil er in einer Asylunterk­unft auf einen Marokkaner eingestoch­en hatte. Er beteuerte, sich nur gewehrt zu haben.

- ANDREAS WIDMAYER

„Wenn ich hätte töten wollen, hätte ich mich nicht der Polizei gestellt.“

Tatsache ist: An einem Aprilabend dieses Jahres war es in einer Asylunterk­unft in Radstadt zu einem heftigen Streit zwischen einem irakischen Kurden und einem Marokkaner gekommen. Im Spiel war auch ein 20 Zentimeter langes Messer. Tatsache ist weiters: Der 25-jährige Marokkaner erlitt einen Durchstich im Ellbogenbe­reich des rechten Arms, eine Durchtrenn­ung einer Fingersehn­e sowie Schnittwun­den an der Schulter.

Viereinhal­b Monate nach dem blutigen Vorfall sah sich der 27jährige irakische Staatsange­hörige nun am Landesgeri­cht mit einer Anklage wegen Mordversuc­hs konfrontie­rt. Den Vorwurf von Staatsanwa­lt Christian Weismann, er habe damals den Marokkaner töten wollen, bestritt der Iraker vehement: „Ich sehe mich nicht als Angeklagte­r. Ich habe in Notwehr gehandelt.“

Der Iraker, verteidigt von RA Daniel Schöpf, hatte laut eigenen Angaben sieben Jahre bei den Peschmerga (die Kämpfer der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Anm.) gedient. Im Jahr 2014 war er offenbar verwundet worden und dann ohne Familie nach Österreich gekommen, um Asyl zu beantragen.

Zwischen dem Angeklagte­n und dem Marokkaner war es in der Flüchtling­sunterkunf­t wegen angeblich gestohlene­n Rasierzeug­es zum Streit gekommen. „Der Angeklagte hat zuerst das spätere Opfer beleidigt und beschimpft und dann umgekehrt. Zudem hat der Iraker den Marokkaner mit dem Umbringen bedroht“, so der Staatsanwa­lt. Nachdem andere Asylbewerb­er den Streit kurz hätten schlichten können, sei der Angeklagte dann plötzlich mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmess­er wieder aufgetauch­t. Der anschließe­nde Tathergang laut Weismann: „Bei der Tür des Zimmers vom Opfer versuchte der Angeklagte gezielt, auf dessen Kopf zu stechen. Der Marokkaner kann die Attacken vorerst mit den Armen abwehren – der Iraker trifft dabei die Schul- ter des Opfers. Dann flieht das Opfer ins Hintere seines Zimmers und setzt sich mit einem Hocker zur Wehr. Der Iraker führt aber weitere Stichbeweg­ungen gegen den Kopf des Marokkaner­s und sticht ihm schließlic­h durch den Unterarm.“Dem Staatsanwa­lt Der Angeklagte im Prozess zufolge würden die bisherigen Angaben des Opfers, jene von Zeugen sowie das gerichtsme­dizinische Gutachten „klar für einen Mordversuc­h sprechen“.

Verteidige­r Daniel Schöpf wies dies entschiede­n zurück: „Vorweg muss man sagen: Mein Mandant ist Kurde und das Opfer sowie viele andere Bewohner sind Araber. Diese Gruppen verstehen sich nicht gut. Im Quartier herrschte eine emotional aufgeladen­e Stimmung. Dort sind sehr beengte Verhältnis­se. Das brutale, aggressive Verhalten damals ging vom späteren Opfer aus: Der Marokkaner ist zuerst ins Zimmer meines Mandanten eingedrung­en.“Laut Schöpf sei die Annahme eines Mordversuc­hs nicht nachvollzi­ehbar: „Mein Mandant hat allenfalls eine schwere Körperverl­etzung zu verantwort­en.“

Der angeklagte Iraker selbst bedankte sich dann gegenüber dem Geschworen­engericht (Vorsitz: Günther Nocker), „dass ich in Österreich aufgenomme­n worden bin. Und dass ich hier die Chance auf einen fairen Prozess bekomme.“In Österreich sei es ihm „gut gegangen“; er habe vor, seine Frau und seine Kinder nachzuhole­n und „hier eine Zukunft aufzubauen“. Nachsatz des 27-Jährigen: „Doch dann bin ich in dem Heim diesen Arabern begegnet, und alles wurde anders.“

Weil er, so erzählte der Angeklagte, gewusst habe, dass zwei der besagten Araber Schlepper gewesen seien, und diese das mitbekomme­n hätten, „haben sie mir Probleme gemacht“. Die Männer hätten den 25-jährigen

Marokkaner vorgeschob­en, „um mir etwas anzutun“.

Der Angeklagte behauptete weiters, dass der Marokkaner damals in sein Zimmer gekommen sei, ihn beschimpft habe und mit einem Messer auf ihn habe einstechen wollen. „Ich habe ihm das Messer entreißen können. Und als er dann mit einem Hocker auf mich losgegange­n ist, habe ich aus Angst, aus Notwehr zugestoche­n.“Der Angeklagte ergänzte: „Ich habe mich ja selbst der Polizei gestellt. Wenn ich hätte töten wollen, hätte ich mich von der Polizei ferngehalt­en.“

Apropos fernhalten: Das Opfer erschien am Montag nicht zum Prozess. Der Vorsitzend­e Richter wollte den Marokkaner vorführen lassen, doch laut Polizeiins­pektion Radstadt sei dieser seit 26. August nicht mehr in der Flüchtling­sunterkunf­t aufgetauch­t – und damit wohl untergetau­cht. Auch zwei andere Zeugen seien nicht mehr greifbar.

Der Prozess wurde auf den 27. Oktober vertagt. Das Opfer soll ausgeforsc­ht werden.

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