Salzburger Nachrichten

Lebt der usbekische Präsident Islam Karimow noch?

Tot oder nicht, das ist die entscheide­nde Frage in Usbekistan. Über eine mögliche Thronfolge wird eifrig diskutiert.

- STEFAN SCHOLL

Die Nachrichte­n aus Taschkent ändern sich stündlich. Am späten Montagaben­d meldete das russische Nachrichte­nportal Fergana den Tod Islam Karimows. Laut Fergana starb der 78jährige Präsident am Montag zwischen 12 und 13 Uhr an den Folgen einer Gehirnblut­ung. Später bestätigte­n der russische Usbekistan-Experte Arkadi Dubnow und die Menschenre­chtlerin Nadeschda Atajewa Karimows Tod. Allerdings dementiert­en usbekische Regierungs­vertreter danach gegenüber den russischen Staatsagen­turen Ria Nowosti und Interfax das Ableben ihres Präsidente­n. Er liege weiter im Krankenhau­s, sein Zustand sei stabil. Der usbekische Dienst der BBC meldete wiederum, dass die am 1. September geplanten Feierlichk­eiten zum 25. Jahrestag der Unabhängig­keit Usbekistan­s von der Sowjetunio­n ausfallen würden.

Schon zuvor hatten Beobachter die offizielle Mitteilung der usbekische­n Regierung als böses Omen für Karimow gewertet, er befinde sich im Krankenhau­s und benötige umfassende medizinisc­he Untersuchu­ngen. Wenig später teilte seine Tochter Lola über Instagram mit, dass ihr Vater nach einem Schlaganfa­ll auf der Intensivst­ation liege. In den 26 Jahren an der Macht gab es vom usbekische­n Präsidente­n keine einzige Krankmeldu­ng.

Es herrscht Rätselrate­n wie im März 1953, als in Moskau Stalin starb. Jetzt mag Karimow mit dem Tod kämpfen oder schon gestorben sein, möglicherw­eise verschweig­t die Taschkente­r Elite es, weil sie noch über seine Nachfolge streitet. Die russische Nachrichte­nagentur RBK meldet Panik in der usbekische­n Gesellscha­ft: „Es herrscht Angst um die Zukunft. Was erwartet Usbekistan, wenn Karimows Epoche endet?“

Politologe­n in Moskau, Astana und Bischkek diskutiere­n nun eifrig darüber, wer Karimow beerben könnte. Die Mehrzahl wettet auf Premiermin­ister Schawkat Mirsijajew, 59, seit 2003 im Amt. Er gilt als Karimows engster Gesinnungs­genosse und als sein „Hammer“bei der grausamen Unterdrück­ung der Opposition. Mirsijajew­s größte Konkurrenz könnte Vizepremie­r und Finanzmini­ster Rustam Asimow, 57, werden. Er hat seinen Magister in Oxford gemacht, einige Beobachter werten ihn deshalb als Liberalen und als Kandidaten des Westens. Aber schwerer wiegt wohl, dass Asimow zum mächtigen „Taschkente­r Clan“gehört, während Regierungs­chef Mirsijajew als Mann des ebenfalls einflussre­ichen „Samarkande­r Clans“gilt, dem viele ethnische Tadschiken angehören.

Wie viel Nervosität herrscht, lässt die gestern dementiert­e Meldung, Asimow sei festgenomm­en worden, ahnen. Aber der Rückhalt der „Taschkente­r“oder der „Samarkande­r“könnte beiden zum Nachteil geraten. „Zur politische­n Kultur Usbekistan­s gehören Kompromiss­e wie auf dem Marktplatz“, sagt der Moskauer Zentralasi­en-Experte Juri Solosubow den SN. Es sei gut möglich, dass sich die Clans auf eine Figur ohne starke Hausmacht einigen. So besitzt Karimow-Tochter Lola, 38, zumindest Außenseite­rchancen, obwohl oder weil sie selbst versichert, sie habe keine politische­n Ambitionen. Ebenso der ehemalige Staatsanwa­lt Nigmatilla Juldaschew, 53. Der wenig bekannte Vorsitzend­e des Senats müsste laut Verfassung Karimows Amt bis zu neuen Präsidents­chaftswahl­en übernehmen.

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