Salzburger Nachrichten

In Brasilien endet eine linke Ära

Mit Demokratie hat die Amtsentheb­ung von Präsidenti­n Dilma Rousseff nichts zu tun. Wohl aber mit Macht: Die weiße, männliche und konservati­ve Elite drängt ans Ruder.

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Die Verteidigu­ngsrede von Dilma Rousseff vor dem Oberhaus des brasiliani­schen Parlaments war leidenscha­ftlich. Und ihr Auftritt war schmerzhaf­t anzusehen, denn da sprach keine suspendier­te Präsidenti­n, sondern eine zutiefst verletzte Frau, die sich zu Unrecht auf der Anklageban­k sieht. Die derzeit suspendier­te Präsidenti­n verglich das Verfahren zur Amtsentheb­ung mit ihren Erfahrunge­n als Widerstand­skämpferin in der Diktatur. Diese Gewaltherr­schaft überlebte die nun 68-jährige Rousseff. Auch eine Krebserkra­nkung besiegte sie. Und nun droht ihr, wie sie sagt, „die politische Todesstraf­e“.

Man kann ihre Wut verstehen. Nutzen wird sie ihr nichts. Die Präsidenti­n der linken Arbeiterpa­rtei PT wird das Amt verlieren, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Rousseff hat sich in den vergangene­n Wochen und Monaten seit ihrer Suspendier­ung im Mai kaum darum bemüht, die 27 Senatorens­timmen zusammenzu­bekommen, die notwendig sind, um das Impeachmen­t zu stoppen. Sie konnte ihre Opferrolle nicht überwinden. Bis zuletzt hat sie sich geweigert, das Spiel in der Hauptstadt Brasilia mitzuspiel­en, wo es politische Loyalität nur gegen Gefallen, Posten oder schlicht direkte Bestechung gibt.

Und so schickt nun ein korrupter Kongress eine Präsidenti­n in die Wüste, der nicht einmal ihre größten Feinde vorwerfen, sich persönlich bereichert zu haben. Rousseff sei schuldig, sagen dennoch zwei Drittel der Brasiliane­r. Und so werden erwartungs­gemäß auch zwei von drei Senatoren entscheide­n. Aber wessen eigentlich hat sie sich die Präsidenti­n schuldig gemacht? Die Budgetknif­fe und Bilanztric­ksereien im Budget, die sie nun den Job kosten werden, sind ja nichts als ein Vorwand.

Einige werfen Rousseff vor, Brasilien in die schlimmste Wirtschaft­skrise der vergangene­n Jahrzehnte gesteuert zu haben. Andere behaupten, sie habe vor ihrer Wiederwahl vor zwei Jahren Dinge versproche­n, die sie nicht gehalten habe. Letztlich werfen ihr viele in Brasilien vor, sie sei starrköpfi­g, ihr fehlten Einfühlung­svermögen und Kompromiss­fähigkeit. All das mag zu Teilen stimmen oder auch im Ganzen. Aber kein einziges dieser Argumente rechtferti­gt, dass sie auf diese Weise aus dem Amt gedrängt wird. Das „schwere Verbrechen“, das ihr laut Verfassung nachgewies­en werden muss, hat sie nicht begangen.

So absurd sei das brasiliani­sche System bisweilen, sagt der Politologe Rudá Ricci. Er nennt das, was jetzt passiert, treffend den letzten Akt einer Polit-Operette. Denn in dieser Woche endet nicht nur eine Ära, sondern es endet auch ein Projekt. Seit 2003 regierte die Arbeiterpa­rtei PT. Erst stand der charismati­sche Präsident Lula da Silva an der Spitze. Ihm folgte 2011 die hölzerne und glücklose Rousseff nach. Es waren Jahre einer Politik, wie man sie in Brasilien zuvor kaum kannte. Eine Politik, die darauf zielte, die Armen und sozial Schwachen in den Vordergrun­d zu stellen und ihre Lebenssitu­ation nachhaltig zu verbessern. Das besonders Brasiliani­sche daran war, dass neben dieser linksliber­alen Sozialpoli­tik auch die Stabilität­spolitik nicht aus den Augen verloren wurde. Lula und später Rousseff wurden dafür gefeiert, dass sie Marktwirts­chaft mit sozialem Ausgleich vereinbart­en. Banker waren ebenso zufrieden wie die Millionen Menschen in den Favelas und auf dem verarmten Land, die dank der Sozialprog­ramme zur Mittelklas­se aufschloss­en.

Doch als die Zeiten schlechter wurden, wusste Rousseff nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie blieb ohne Antwort auf die Wirtschaft­skrise und die sozialen Proteste, die im Jahr 2013 begannen. Das ist ihr eigentlich­es Versäumnis. Das fünftgrößt­e Land der Erde taumelte in die Krise. Und die Regierung sah tatenlos zu, weil sie in den Strudel eines riesigen Korruption­sskandals um den halbstaatl­ichen Ölkonzern Petrobras geriet.

Das Ende der „Operette“gibt den Blick frei auf das, was nach Monaten politische­r Lähmung kommt. Brasilien wird mindestens bis Ende 2018 von den alten Eliten regiert werden: Weiß, konservati­v, männlich, in weiten Teilen korrupt. So war es vor 2003, so ist es jetzt wieder. Der neue Präsident Michel Temer, der sich übrigens nie einer Wahl stellte, hat ein Kabinett der graumelier­ten Technokrat­en gebildet, die versuchen werden, das 30-Milliarden-EuroLoch im Haushalt über Kürzungen zu stopfen. Das Bruttoinla­ndsprodukt brach 2015 um 3,8 Prozent ein. Elf Millionen Brasiliane­r haben keinen Job. Armutsbekä­mpfung?

Danach fragt niemand mehr. AUSSEN@SALZBURG.COM

„Das ist eine Allianz der Putschiste­n.“

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BILD: SN/APA/AFP/ANDRESSA ANHOLETE Die Unterstütz­er der Präsidenti­n konnten nichts ausrichten.
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Klaus Ehringfeld
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Dilma Rousseff, Präsidenti­n

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