Leitplanken werden zur Falle
Amputationen von Gliedmaßen sind häufige Folgen, wenn Motorradfahrer gegen scharfkantige Fahrbahnbegrenzungen prallen. Gefahrenherde werden oft zu spät entschärft.
Eigentlich dienen Leitschienen der Fahrbahnsicherung. Bei Unfällen sollen sie verhindern, dass Verkehrsteilnehmer über eine Böschung stürzen oder gegen einen Hang prallen. Für Autos trifft diese Schutzfunktion auch zu. Für Motorradfahrer hingegen werden Leitplanken und Stahlpfosten oftmals zur lebensgefährlichen Falle. „Vor allem die scharfkantigen Steher sind für Motorradfahrer bei einem Sturz sehr gefährlich. Sie sind verantwortlich für die eine oder andere Amputation“, sagt Georg Scheiblauer, Motorrad-Chefinstruktor des Automobilclubs ÖAMTC.
Ähnlich argumentiert Klaus Robatsch, Leiter des Forschungsbereichs beim Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV). „Die Gliedmaßen und auch der Kopf sind am stärksten gefährdet, wenn ein Unfalllenker genau unter die Schiene rutscht und irgendwo hängen bleibt.“Robatsch zufolge wurde zum Thema Sicherheit von Leitschienen schon viel geforscht. Im Jahr 2010 habe die Forschungsgesellschaft „Straße, Schiene, Verkehr“sogar eine Richtlinie herausgegeben, in der unter anderem ein sogenannter Unterfahrschutz für Leitplanken auf Motorradstrecken nahegelegt wurde. Viele Steher genau im Kurvenverlauf seien daraufhin versetzt worden. Zum Teil seien auf gefährlichen Streckenabschnitten auch Dämpfungselemente aus Schaumstoff und doppelte Schienenbänder eingebaut worden.
„Es wurde einiges investiert. Aber in sehr vielen Kurven gibt es nach wie vor keinerlei Schutz“, erklärt Robatsch. Auch Motorradexperte Scheiblauer fordert, flächendeckend in allen Kurven Unterfahrschutz zu montieren, weil dadurch schwerste Unfallverletzungen verhindert werden könnten. „Das ist natürlich eine Kostenfrage. Meistens muss erst etwas Dramatisches passieren, bevor der Straßenerhalter reagiert“, betont Scheiblauer.
Mit Ausnahme von Autobahnen und Schnellstraßen sind für die Straßenerhaltung Bund, Länder und Gemeinden zuständig. Die meisten tödlichen Unfälle ereignen sich auf Bundesstraßen. Nur in Ausnahmefällen wurden dort die alten, scharfkantigen Steher und Querbalken durch neue Systeme ersetzt. Dabei hätte ein Unterfahrschutz auch einen psychologischen Effekt: „Motorradlenker schließen daraus, dass an dieser Stelle schon etwas passiert ist, und drosseln automatisch ihr Tempo“, sagt Scheiblauer.
Statistische Erhebungen, wie viele schwere Verletzungen durch veraltete Leitplankensysteme mitverursacht werden, gibt es in Österreich nicht. In Deutschland hat das Institut für Zweiradsicherheit in Essen einst erhoben, dass 61 Prozent der Zweiradfahrer, die von einer Straße mit Leitplanke abkommen, schwer verletzt oder getötet werden. Bei Fahrbahnen ohne Leitplanken beträgt der Wert nur rund 37 Prozent.
Schon ein Aufprall mit Tempo 35 gegen einen „formaggressiven Schutzplankenpfosten“könne zu schwersten Verletzungen führen, stellten die Forscher in Essen fest. Selbst unnachgiebige Betonschutzwände würden ein geringeres Verletzungsrisiko als Leitschienen bergen.
Das Thema ist deshalb besonders brisant, weil die Zulassungen für Zweiräder enorm zunehmen. Laut ÖAMTC ist auch deren Anteil bei den Verkehrstoten zwischen 1992 und 2015 von fünf auf 17 Prozent gestiegen.