Mitterlehner ist noch da
Warum der Vizekanzler das Ministerrats-Pressefoyer rettet. Was Sebastian Kurz anders macht als Wilhelm Molterer und Co. Und warum Österreich im Herbst 2017 wählen wird.
WIEN. Zuletzt zeigte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, um den es im Sommer sehr ruhig war, verstärkt Präsenz: Mit seiner Forderung nach einem „Verhandlungsstopp“beim US-europäischen Handelsabkommens TTIP setzte er ein klares Signal. Und mit seiner Ankündigung vom Mittwoch, er werde – unbeschadet der gegenteiligen Kanzlerentscheidung – den Journalisten auch in Zukunft nach den Ministerratssitzungen zur Direktbefragung zur Verfügung stehen, bewies er, dass er sich nicht vor den Informationskarren des Kanzlers spannen lässt.
All das soll Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und kommt nicht von ungefähr. Denn seit Montag hatten sich Gerüchte verdichtet, wonach der Vizekanzler amtsmüde sei. An diesen Gerüchten war Mitterlehner nicht ganz unbeteiligt. Im ORF-„Sommergespräch“hatte er auf die Frage, ob die ÖVP vielleicht mit einem neuen Spitzenkandidaten in die nächste Nationalratswahl gehen könnte, geantwortet: „Ich bin der Letzte (. . .), der da jemandem im Weg steht.“Dies wurde allgemein als Hinweis gewertet, dass Mitterlehner seine Ämter demnächst an Sebastian Kurz übergeben könnte. Durch seine Aktivitäten der letzten Tage unterstrich Mitterlehner, dass noch mit ihm zu rechnen ist.
Und in der Tat deutet alles darauf hin, dass ein Wechsel von Mitterlehner zu Kurz nicht unmittelbar bevorsteht. Denn ein solcher Wechsel hätte erst knapp vor der nächsten Nationalratswahl Sinn. Andernfalls würde die ÖVP riskieren, dass sich der Außen- und Integrationsminister in der Rolle des Juniorpartners in der Koalition so verbraucht wie vor ihm Wilhelm Molterer, Josef Pröll, Michael Spindelegger und Reinhold Mitterlehner. Viel wahrscheinlicher ist, dass Mitterlehner (oder ein anderer ÖVP-Minister) bis unmittelbar vor der Wahl die Vizekanzler-Rolle ausübt und sich Kurz, ohne sich diese Bürde aufzuladen, als unverbrauchter und frischer Kanzlerkandidat ins Rennen wirft.
Bleibt die Frage, wann die nächste Nationalratswahl stattfindet. Planmäßiger Termin wäre der Herbst 2018. Das ist ein denkbar ungünstiger Zeitraum, da Österreich im zweiten Halbjahr 2018 die arbeitsintensive EU-Ratspräsidentschaft innehat. Es ist davon auszugehen, dass die Regierung früher zu den Wahlurnen bittet – etwa mit dem trefflichen Argument, dass man sich vor der EU-Ratspräsidentschaft ein neues Regierungsmandat von den Wählerinnen und Wählern sichern wolle.
Die Bundes-ÖVP kann derzeit aufgrund ihrer schlechten Umfragewerte kein Interesse an baldigen Wahlen haben. Daher lägen Wahlen im Frühjahr 2018 nahe. Anders sehen das die Bundesländer: Gleich vier davon (Kärnten, Salzburg, Tirol, Niederösterreich) halten im Frühjahr 2018 ihre Landtagswahlen ab, in drei davon muss ein ÖVPLandeshauptmann seinen Sessel verteidigen. Aus deren Sicht wäre es gut, würden auf Bundesebene zu diesem Zeitpunkt bereits klare Verhältnisse herrschen. Sprich: Nationalratswahl im Herbst 2017. Sollte sich die Bundes-ÖVP nach dieser Wahl in der Opposition wiederfinden, könnte das den schwarzen Landesparteiorganisationen durchaus nützen: Sie könnten in diesem Fall erstmals seit 1987 wieder im Lager jener Protestwähler fischen, die mit der (rot-blauen?) Regierungspolitik auf Bundesebene unzufrieden sind. Sollte die Bundes-ÖVP hingegen in eine schwarz-blaue Koalition gehen, würde die ÖVP bei den Landtagswahlen vom „Reiz des Neuen“profitieren.