Salzburger Nachrichten

Norwegen baut Grenzzaun

Vergangene­s Jahr noch ein Geheimtipp, heuer geschlosse­n: Die Flüchtling­sroute über den äußersten Nordzipfel Europas hat ausgedient.

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Bevor der erste Winterfros­t kommt, soll er fertig sein. Norwegen hat sich entschiede­n, an seiner ruhigen, arktischen Grenze zu Russland einen Grenzzaun aus Stahl zu errichten, um Flüchtling­en die Einreise durch den Wald zu erschweren. Dort gibt es nur einen Grenzüberg­ang beim Örtchen Storskog. Der Zaun ist 3,5 Meter hoch und 200 Meter lang. Er schließt eine Lücke bis zu einem See und auf der anderen Seite bis zu einem Rentierzau­n, der schon immer da war. Zudem soll auch ein richtiges Tor montiert werden.

Im vergangene­n Jahr waren bis in den November hinein rund 5500 Flüchtling­e zumeist aus Syrien, aber auch aus Afghanista­n, über den abgelegene­n Nordzipfel Europas durch Russland nach Norwegen gelangt. Nachdem sich die Schreckens­meldungen über gefährlich­e Mittelmeer­routen in die EU gehäuft hatten und immer mehr Länder ihre Grenzen schlossen, wurde im Internet verbreitet, dass die sogenannte arktische Route ein viel komfortabl­erer und preiswerte­rer Weg in Europas reichstes Land sei. Zudem seien Flüchtling­e in Norwegen sehr willkommen, hieß es. Zunächst machten sich vor allem wohlhabend­ere Syrer auf den Weg, oft Assad-Anhänger, die schon seit einigen Jahren in Russland gelebt Andre Anwar berichtet für die SN aus Norwegen hatten. Sie kamen über Moskau mit dem Nachtflug in die Polarhafen­stadt Murmansk. Dort übernachte­ten sie in guten Hotels, am Morgen ging es mit Bussen oder Taxis nach Nikel weiter, dem letzten russischen Ort vor der Grenze.

Dort verkauften Russen alte Fahrräder zu Wucherprei­sen. Mit denen mussten die Flüchtling­e die letzten sieben Kilometer nach Norwegen radeln, wo sie dann Asylanträg­e stellen konnten. Denn Taxioder Busfahrer laufen Gefahr, sich als Schlepper strafbar zu machen. Gleichzeit­ig erlaubt Russland, das sich ansonsten freundlich passiv gegenüber den Flüchtling­en verhält, nicht, die letzte Strecke zu Fuß zu passieren.

Das wohlhabend­e Norwegen mit seinen 5,2 Millionen Einwohnern ist nicht EU-Mitglied, aber als Mitglied des Europäisch­en Wirtschaft­sraums (EWR) und des Schengenra­ums eng mit der EU verbunden. Obwohl nur gut 31.000 Menschen im Jahr 2015 Asyl beantragte­n, wurde in der öffentlich­en Debatte zum Teil der Eindruck vermittelt, Norwegen werde von Flüchtling­en überschwem­mt. Russland überwacht seine Seite der Grenze streng, weil Norwegen zur NATO gehört. Die Flüchtling­e ließ Moskau aber durch.

Die betont einwanderu­ngskritisc­he Regierung aus Konservati­ven und Rechtspopu­listen handelte schnell. Eine PR-Gegenkampa­gne in arabischer Sprache lief im Internet unter dem Tenor „Bleibt weg!“. Die Asylregeln wurden drastisch verschärft, Asylbewerb­er zum Teil zurück nach Russland geschickt. Im Juni 2016 meldete die Einwanderu­ngsbehörde, dass die Zahl der Flüchtling­e in den ersten drei Monaten um 95 Prozent gesunken und so gering wie seit dem Jahr 1997 nicht mehr ist.

Dementspre­chend kritisiere­n Menschenre­chtsgruppe­n den Grenzzaun. Aber auch Rune Rafaelsen, Bürgermeis­ter der Grenzkommu­ne, ist kritisch. „Ich sehe keinen Grund für einen Zaun. Es werden zu viele Zäune in Europa hochgezoge­n“, sagte er. Die Region lebe auch vom regen Handel mit den Russen.

Die Regierung von Erna Solberg sieht im Zaun einen „notwendige Sicherheit­smaßnahme“. Zudem sei man auch verpflicht­et, die Schengenau­ßengrenze zu schützen, heißt es in einer Regierungs­erklärung.

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BILD: SN/EPA Kleiner arktischer Grenzverke­hr: Flüchtling­e radelten von Russland über die Grenze nach Norwegen.
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