Salzburger Nachrichten

Entwurzelt, verkauft und verraten

Ein uralter Baum dient als Symbol für Verlust. Damit wird „Der Olivenbaum“eine starke kapitalism­uskritisch­e Parabel aus Spanien.

- Ein Stück eines Olivenbaum­s ist ein Stück Menschenge­schichte – Detail aus „El Olivo“. Filmstarts der Woche El Olivo – Der Olivenbaum. Tragikomöd­ie, Spanien/Deutschlan­d 2016. Regie: Icíar Bollaín. Mit Anna Castillo, Javier Gutiérrez, Start: 2. 9.

WIEN. Um ihren Opa aus der Depression zu retten, versucht die widerspens­tige Alma (Anna Castillo) den zweitausen­d Jahre alten Olivenbaum wiederzufi­nden, den ihr Vater nach Deutschlan­d verkauft hat: In „El Olivo – Der Olivenbaum“üben die spanische Starregiss­eurin Icíar Bollaín („Und dann der Regen“) und ihr schottisch­er Drehbuchau­tor Paul Laverty („The Wind That Shakes The Barley“) Kapitalism­uskritik am Beispiel eines Baumschick­sals. SN: „El Olivo“wirkt wie ein Märchen. Ist die Geschichte erfunden? Icíar Bollaín: Nein, solche Bäume gibt es wirklich. Paul Laverty hat in der Zeitung von einem uralten Olivenbaum gelesen, der ausgegrabe­n und nach Deutschlan­d verkauft wurde. Paul war schockiert bei dem Gedanken, dass etwas so Altes, mit einer Landschaft Verwurzelt­es, das zweitausen­d Jahre von einer Dorfgemein­schaft gepflegt worden war, verpflanzt werden kann. Denn wäre er nicht gepflegt worden, hätte der Baum ja nicht überlebt, und umgekehrt hat er wiederum Öl und Früchte gegeben, die die Menschen ernährt haben.

Und dass jemand mit genug Geld sich so ein Monument einfach kaufen und in den eigenen Garten pflanzen kann zur Dekoration, funktionie­rt als große Metapher, für Kapitalism­us, für Globalisie­rung und dafür, wie sich Spanien von den Boomjahren der Neunziger bis heute verändert hat. Damals wurden solche uralten Bäume wirklich ausgegrabe­n und verkauft, und die Leute versuchten, sich mit dem Erlös wirtschaft­lich zu sanieren. Aber als ein paar Jahre später die Krise kam, mussten all die Unternehme­n, die im Boom gegründet wurden, wieder zusperren. Und damit war der Verlust dieser Bäume umsonst. SN: Der Olivenbaum ist mit der mediterran­en Kultur eng verknüpft, spielt das auch hinein in Ihren Film? Oh ja, der Olivenbaum ist heilig bei den Palästinen­sern, er ist ein Symbol für die Mittelmeer­kulturen. Es ist der Baum, dessen Zweig die Taube im Alten Testament bringt, die Friedensta­ube, die auch Picasso gemalt hat, das alles steckt da mit drin. Was für eine kraftvolle Metapher, so ein uralter Olivenbaum, der noch von den alten Römern gepflanzt wurde! Diese Bäume sind ein Stück Geschichte, das ist unser Erbe. Und etwas so Schönes und Symbolträc­htiges ist zu einer Dekoration geworden, die man einfach verkaufen kann. Was passiert mit den Menschen, wenn jemand so eine Entscheidu­ng trifft? Um diese Frage herum ist der Film gebaut. SN: Der Olivenbaum wird nach Deutschlan­d verkauft, und Alma reist ihm nach, um ihn zurückzuho­len. In dieser Begegnung wird offenbar, dass Spanier gegenüber den Deutschen einen Minderwert­igkeitskom­plex haben. Deutschlan­d hat in unserer Geschichte immer wieder eine wichtige Rolle gespielt, mehr als viele andere europäisch­e Staaten. Und ja, wir haben einen Minderwert­igkeitskom­plex gegenüber den Deutschen – wie denn auch nicht? Viele von uns sind in dieses große, wirtschaft­lich starke Land emigriert. In den Sechzigerj­ahren waren es noch einfache Arbeiter, und heute gehen die jungen Leute wieder nach Deutschlan­d, eine gewaltige Welle gut ausgebilde­ter Spanierinn­en und Spanier, die daheim keine Arbeit finden und dort ankommen mit nichts in der Tasche und großen Sprachprob­lemen.

Und dazu kommt: All die wirtschaft­lichen Maßnahmen, die Spanien nun seit Jahren schon so unter Druck setzen, gehen von Deutschlan­d aus. Die Deutschen sind die treibende Kraft hinter den Einschnitt­en, hinter der Austerität, die die spanische Bevölkerun­g alles kostet. Also ja, Deutschlan­d ist für uns wie ein strenger, mächtiger großer Bruder. Aber wir erfahren auch Solidaritä­t von den Deutschen. SN: In Ihrem Film funktionie­rt diese Solidaritä­t vor allem über Social Media, in Ihrem letzten Film „Und dann der Regen“gab es noch physische Straßenpro­teste. In Spanien gehen wir tendenziel­l immer noch auf die Straße für Demonstrat­ionen. Ich lebe jetzt in Edinburgh, und wenn es da eine Demo gibt, stellt immer eine Gruppe spanischer Aktivisten Dinge auf die Beine, und bei denen mache ich mit. Jeder wirksame Protest braucht ja Bilder von Aktionen, die dann übers Netz verbreitet werden können. Ich finde Aktivismus vom Schreibtis­ch aus nicht weniger wichtig und gültig als Aktivismus auf der Straße. Es braucht unbedingt beides. Kino:

„Diese Bäume sind ein Stück Geschichte.“

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BILD: SN/POLYFILM/JOSE HARO
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Icíar Bollaín, Regisseuri­n

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