Salzburger Nachrichten

Über Bilder die Welt verstehen

Der Kunsthisto­riker Aby Warburg war seiner Zeit weit voraus. In Karlsruhe wird er gewürdigt.

- Aby Warburg. Mnemosyne Bilderatla­s/Rekonstruk­tion – Kommentar – Aktualisie­rung, ZKM Karlsruhe, bis 13. November.

Er wurde vor 150 Jahren geboren, seine Ansichten, Ideen und Thesen sind heute brandaktue­ll. Er ist eine Zeitlang in Vergessenh­eit geraten und erlebt nun wieder eine Renaissanc­e: Aby Warburg (1866–1929), der Kunsthisto­riker und Kulturwiss­enschafter, der als Wegbereite­r der Ikonografi­e (Beschreibu­ng und Inhaltsdeu­tung von Bildwerken) gilt. Eine Ausstellun­g im Zentrum im ZKM Karlsruhe präsentier­t ab heute, Donnerstag, die vollständi­ge Rekonstruk­tion des legendären „Bilderatla­s Mnemosyne“, den der gebürtige Hamburger ab 1924 zusammenge­stellt hat. Aby Warburgs Vorstellun­g: Die Antike lebt in der europäisch­en Kultur immer noch weiter.

Mnemosyne ist in der griechisch­en Mythologie die Tochter des Uranos und der Gaia und gilt als Göttin der Erinnerung. Abraham Moritz „Aby“Warburg – er litt unter manisch-depressive­n Schüben und war auch in psychiatri­scher Behandlung – untersucht­e ab 1924 in seinem Atlasproje­kt das Nachleben der Bilder. Auf großformat­igen Tafeln baute er unter anderem „Wanderstra­ßen der Kultur“. „Bilderfahr­zeuge“vollführen die Bewegungen, womit Warburg beispielsw­eise Kalender, Sternkarte­n, Teppiche, Grafiken und Ölgemälde gemeint hat.

Für das von Peter Weibel geleitete ZKM ist Aby Warburg der erste „Medienwiss­enschafter“, der die Kunstgesch­ichte um Meisterwer­ke aus den Bereichen Mode, Werbung und Alltagskul­tur erweitert hat. Schwarz-Weiß-Fotografie­n von Kunstwerke­n und Objekten aus unterschie­dlichen Epochen berichten auf den schwarz bespannten Tafeln (eine Anregung seines Assistente­n, dem österreich­ischen Kunsthisto­riker Fritz Saxl) von Bildzusamm­enhängen, die so zuvor nicht gesehen worden sind. Will heißen: Es gibt innere Verbindung­en zwischen antiken Objekten und etwa Pressefoto­s der Gegenwart, zwischen Reklamedar­stellungen und historisch­en Gemälden, zwischen Hochkultur und einer Kultur der Massen.

Mithilfe der arrangiert­en Bilder zeige der Sohn einer Hamburger Bankiersfa­milie Beziehunge­n, aber auch Konflikte auf, sagt Roberto Orth von der Forschungs­gruppe Mnemosyne, der gemeinsam mit Axel Heil auch die Karlsruher Ausstellun­g kuratiert hat.

Aby Warburg sammelte Tausende von Fotos, die vierzig Kartons füllten. Sein Atlas blieb bei 63 Bildtafeln unvollende­t, für das ZKM wurden sie erstmals in Originalgr­öße (170 Zentimeter mal 140 Zentimeter) rekonstrui­ert und chronologi­sch aufgehängt. Zwei der 63 Bildtafeln sind Originale: die Tafel 32 zum Thema „Karneval“und die Tafel 48 zum Thema „Fortuna“.

Für das Kuratoren-Duo hat der Mnemosyne-Atlas mittlerwei­le den Status „einer Legende mit Weltruhm“. Er sei mindestens ebenso bekannt wie Warburgs Bibliothek, die seit 1933 in London beheimatet ist. „Er ist in seiner Komplexitä­t eine Art bildhistor­ische Vielzweckw­affe, ein Instrument, das nicht nur entschlüss­elt, sondern auch angewandt werden kann“, sagt Orth.

Im Zeitalter der digitalen Bilderflut stellt sich die Frage, wie Aby Warburg in der Gegenwart forschen würde. Wie aktuell seine Zugänge sind, zeigt der von ihm verwendete Begriff „Bilderfahr­zeuge“. Dieser bereichert mittlerwei­le unter neuen Namen – „Iconic Turn“und „Pictorial Turn“(Ikonische Wende, Wende zum Bild) die Fachwelt. Warburgs Vorstellun­g von Bildträger­n und -medien als „Fahrzeuge“, auf denen Botschafte­n, Formen und Figuren durch die Zeit und in unterschie­dlichen Bereichen getragen werden, interessie­rt auch zeitgenöss­ische Künstler. Unter den 13 im ZKM gezeigten Künstlerta­feln, die als Hommage an Aby Warburg zu verstehen sind, finden sich Arbeiten von Paul McCarthy, Olaf Metzel, Matt Mullican, Albert Oehlen, Elfie Semotan und Peter Weibel. Eine späte, wichtige Würdigung einer außergewöh­nlichen Person. Ausstellun­g:

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Die Tafel 37 des „Mnemosyne-Atlas“von Aby Warburg.

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