Salzburger Nachrichten

TTIP wurde zum Kürzel für ungebremst­e Globalisie­rung

Der Freihandel­spakt der EU mit den USA scheint vorerst gescheiter­t zu sein. Ein Neustart könnte auch eine große Chance sein.

- Gerhard Schwischei GERHARD.SCHWISCHEI@SALZBURG.COM

Das Einmaleins in der Wirtschaft­slehre lässt keine Zweifel aufkommen: Freihandel macht Menschen und Nationen reicher. Handelsbar­rieren und Zölle machen Menschen und Nationen ärmer.

Niemand wird heute die Vorteile des europäisch­en Binnenmark­ts ernsthaft in Zweifel ziehen. Zu offensicht­lich sind die Vorteile für Unternehme­r wie für Konsumente­n. Und dennoch stecken die Verhandlun­gen zwischen der EU und den USA über das Freihandel­sabkommen TTIP in der Sackgasse.

Nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschlan­d und Frankreich ist der Widerstand in der Bevölkerun­g so groß, dass sich die Politik gezwungen sieht, stärker als bisher auf die Bremse zu steigen. Warum das so ist und warum das auch gut ist, hat damit zu tun, dass die Schattense­iten der Globalisie­rung zu lang aus dem Blickfeld gedrängt wurden.

Dass der US-Konzerngig­ant Apple es mithilfe der irischen Regierung geschafft hat, auf seine seit 2003 in Europa erzielten Gewinne nicht mehr als ein Prozent Steuern zu bezahlen, ist ein klassische­s Symptom einer Fehlentwic­klung, die es zu korrigiere­n gilt. Die Politik hat es verabsäumt, die Gewinne der Globalisie­rung sozialvert­räglich zu verteilen. Im Klartext: Die Reichen tun sich sehr leicht, ihre Reichtümer zu vermehren. Umgekehrt gibt es zu viele Globalisie­rungsverli­erer, die mit dem weltweiten Wettbewerb nicht Schritt halten können oder allein durch Standortve­rlagerunge­n ihre Jobs verloren haben.

Im großen Liberalisi­erungseife­r wurde in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n das, was eine soziale oder besser noch eine ökosoziale Marktwirts­chaft in Europa einst zum Erfolgsmod­ell gemacht hat, mehr und mehr abgewertet. Wenn in der TTIP-Debatte jetzt vordergrün­dig über Chlorhühne­r und Schiedsger­ichte für Unternehme­n debattiert wird, die quasi die bestehende Gerichtsba­rkeit ausschalte­n sollen, dann sind das nur zwei klassische Beispiele dafür, mit denen der Marsch in die falsche Richtung greifbar gemacht werden kann.

Freier Handel ja, aber wir müssen wieder intensiver und vor allem offener über die Rahmenbedi­ngungen dafür diskutiere­n. Deshalb wäre ein vorläufige­r Stopp der TTIP-Verhandlun­gen zwischen der EUKommissi­on und den USA auch eine Chance. Eine Chance für einen Neubeginn der Gespräche, die derzeit viel zu festgefahr­en und von Emotionen überlagert sind, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Das Thema ist zu wichtig, um es den Populisten zu überlassen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria