Hilft es dem Menschen, an einen Schöpfer zu glauben?
Die Philosophie hat sich längst von Gott verabschiedet. Es führt auch nicht weiter, die Leerstellen der Wissenschaft mit der Hypothese Gott zu füllen. Die Frage bleibt aber, ob eine Welt mit oder ohne Gott ärmer ist.
Die Philosophie hat den Gottesgedanken weitgehend aus ihrer Agenda gestrichen, weil die wissenschaftliche Erfahrung dafür keinerlei Ansatz biete. Aber die politische Wiederkehr der Religion in ihren gewalttätigen Formen zwingt zu einer neuen Auseinandersetzung mit der Frage, wie viel Gott dem Menschen guttut.
Krieg und Frieden sind nicht mehr klar getrennt
Der Dalai Lama hat zuletzt mit seiner Aussage verblüfft, dass er manchmal überlege, ob es für die Menschheit nicht besser wäre, wenn es keine Religionen gäbe. Tatsächlich drängt sich dieser Gedanke auf, wenn man sich die gewaltige Macht vor Augen führt, mit der sich Religion in jüngster Zeit wieder ins Bewusstsein gedrängt hat.
Daher lag beim Philosophicum Lech 2016 „Über Gott und die Welt“(21.–25. September) ständig diese Frage in der Luft, ob es denn für den Menschen besser oder schlechter wäre, sich die Welt in der Hand eines Schöpfergottes zu denken oder nicht. Dabei wurde deutlich, dass sich jedenfalls die Philosophie in ihren großen Linien weithin vom Gottesgedanken verabschiedet hat. Ihr Dogma lautet: Wir können außerhalb der wissenschaftlich erfahrbaren Welt nichts erkennen. Daher sei es geboten, philosophisch über eine bessere Welt nachzudenken, aber zwecklos, die Gottesfrage zu stellen.
Dass diese Frage trotzdem nicht aus der Welt zu schaffen ist, machte der Berliner Schriftsteller, Literaturwissenschafter und Philosoph Rüdiger Safranski am „Willen zum Glauben“fest. In der hochspezialisierten Wissensgesellschaft sei jeder Mensch auf Wissen aus zweiter oder dritter Hand angewiesen. Daher seien hochentwickelte Gesellschaften zwangsläufig auch eine „Glaubensgemeinschaft“. Wer vom Urknall rede oder von Entropie, könne darin auch zeitgemäße Wiedergänger religiöser Begriffe wie Schöpfung oder Apokalyptik sehen.
Nach Ansicht von Safranski ist das ehemals „heiße“Christentum, „in dem das Feuer gebrannt hat, das nicht von dieser Welt ist“, in die „kalte“Phase einer Zivilreligion eingetreten. Diese komme ohne ernsthafte Transzendenz aus und verstehe sich weithin auf spirituelle Freizeitgestaltung, Moralverstärkung und emotionale Stütze des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
„Wenn man aufhört, an Gott zu glauben, bleibt nichts anderes übrig, als an den Menschen zu glauben“, meinte Safranski. Letztlich traue sich der Mensch aber selbst nicht über den Weg, weshalb der „Wille zum Glauben“und zur moralischen Transzendenz ungebrochen sei. Es gebe ein Bedürfnis „nach moralischer Letztbegründung“, etwa für den Satz der deutschen Bundesverfassung, die Würde des Menschen sei unantastbar. „Das ist nichts anderes als der Versuch, in einer säkularen Welt ein heiliges Tabu zu errichten.“
Der Soziologe Heinz Bude sieht vor diesem Hintergrund neue Gottsucher am Werk. Im Silicon Valley in den USA werde mithilfe der Digitalisierung versucht, alle möglichen Methoden menschlicher Erkenntnis und alle denkbaren Realitäten des Lebens in einer Cloud abzuspeichern, um gleichsam eine Art ultimative Weltmaschine zu erschaffen. Die andere „Gottsucherbande“sieht Bude in religiösen Fundamentalisten, die mit Berufung auf Gott „eine große Zeit des Hassens“ausgerufen hätten – wenn man so will, eine Abart der „heißen“Religion.
Nach Ansicht des Makrosoziologen an der Universität Kassel sind namentlich religiöse Gewaltausbrüche ein Versuch, mit der gefühlten „Unordnung“der Welt und einer verbreiteten Stimmung der „Gereiztheit“fertigzuwerden. Diese Unordnung resultiere daraus, dass eine 150 Jahre gültige Weltordnung zu Ende gehe: Bislang war der Abstand zwischen den Industrienationen und den unterentwickelten Regionen stets gewachsen. Jetzt kehre sich das um. „Die Staaten gleichen sich wirtschaftlich an, gleichzeitig wächst aber die soziale Kluft innerhalb der Gesellschaften.“
In die gefühlte Unordnung passt der Hinweis des Berliner Historikers Herfried Münkler, dass die Welt sich seit dem „Krieg gegen den Terror“in einem „Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden“befinde. Vorher hätten Staaten miteinander in Frieden oder im Krieg gelebt. „Man wusste, wo man war.“Heute seien Warlords, Al Kaida und ähnliche Nichtregierungsorganisationen die kriegführenden Parteien. Damit sei die vormalige Ordnung, die klare Unterscheidung von Krieg und Frieden, verloren gegangen.
Den Westen sieht Münkler dabei in der Defensive, „weil es sich bei uns um postheroische Gesellschaften handelt“. Diese hätten eine geringe Geburtenrate und wollten daher ihre wenigen jungen Menschen nicht im Krieg verlieren. Zudem seien postheroische Gesellschaften „religiös erkaltet“, sagte Münkler ähnlich wie Safranski. Ihnen fehle die Idee des Opfers, dass einer sich hingebe, um das Ganze zu retten – Gott sei Dank, darf man ergänzen.
Heinz Bude bot beim Philosophicum Lech als Ausweg aus allen diesen Verwerfungen eine „Hoffnung ohne Optimismus“an. Die Entscheidung freilich, ob ein Mensch sein Dasein optimistisch oder pessimistisch sehen wolle, führt nach Ansicht des Berliner Philosophen Holm Tetens wieder zurück zur Gottesfrage. Bis Hegel (1770–1831) sei die große Mehrheit der Philosophen einig gewesen, dass sich die Welt ohne Gott nicht vernünftig erklären lasse. Ab dann habe der Naturalismus die Oberhand gewonnen, der nur das wissenschaftlich Erfahrbare zulasse. Der Gottesgedanke sei damit zum reinen Wunschdenken des Menschen erklärt worden.
„Was ohne Gott erklärbar ist, soll auch so erklärt werden“, sagte dazu Tetens und warnte vor einem Lückenbüßergott, „für den es durch den Fortschritt der Wissenschaft letztlich immer weniger Lücken geben würde“. Zwei Fragen würden darüber hinaus aber bleiben: „Ist es nur einem Zufall zu verdanken, dass der Mensch in einem materiellen Universum als geistiges Wesen erschienen ist?“und „Haben die geschundenen, unversöhnt verstorbenen Opfer der Menschheitsgeschichte jemals eine Chance, getröstet zu werden?“
Tetens’ Resümee: Eine pessimistische Antwort auf diese Fragen sei wissenschaftlich ebenso wenig begründet wie eine optimistische. „Daher halte ich es für vernünftig, unsere Erfahrung im Lichte des Gottesglaubens zu deuten, weil nur diese optimistische Deutung die Frage nach den Opfern beantwortet.“