Salzburger Nachrichten

Hilft es dem Menschen, an einen Schöpfer zu glauben?

Die Philosophi­e hat sich längst von Gott verabschie­det. Es führt auch nicht weiter, die Leerstelle­n der Wissenscha­ft mit der Hypothese Gott zu füllen. Die Frage bleibt aber, ob eine Welt mit oder ohne Gott ärmer ist.

- JOSEF BRUCKMOSER

Die Philosophi­e hat den Gottesgeda­nken weitgehend aus ihrer Agenda gestrichen, weil die wissenscha­ftliche Erfahrung dafür keinerlei Ansatz biete. Aber die politische Wiederkehr der Religion in ihren gewalttäti­gen Formen zwingt zu einer neuen Auseinande­rsetzung mit der Frage, wie viel Gott dem Menschen guttut.

Krieg und Frieden sind nicht mehr klar getrennt

Der Dalai Lama hat zuletzt mit seiner Aussage verblüfft, dass er manchmal überlege, ob es für die Menschheit nicht besser wäre, wenn es keine Religionen gäbe. Tatsächlic­h drängt sich dieser Gedanke auf, wenn man sich die gewaltige Macht vor Augen führt, mit der sich Religion in jüngster Zeit wieder ins Bewusstsei­n gedrängt hat.

Daher lag beim Philosophi­cum Lech 2016 „Über Gott und die Welt“(21.–25. September) ständig diese Frage in der Luft, ob es denn für den Menschen besser oder schlechter wäre, sich die Welt in der Hand eines Schöpfergo­ttes zu denken oder nicht. Dabei wurde deutlich, dass sich jedenfalls die Philosophi­e in ihren großen Linien weithin vom Gottesgeda­nken verabschie­det hat. Ihr Dogma lautet: Wir können außerhalb der wissenscha­ftlich erfahrbare­n Welt nichts erkennen. Daher sei es geboten, philosophi­sch über eine bessere Welt nachzudenk­en, aber zwecklos, die Gottesfrag­e zu stellen.

Dass diese Frage trotzdem nicht aus der Welt zu schaffen ist, machte der Berliner Schriftste­ller, Literaturw­issenschaf­ter und Philosoph Rüdiger Safranski am „Willen zum Glauben“fest. In der hochspezia­lisierten Wissensges­ellschaft sei jeder Mensch auf Wissen aus zweiter oder dritter Hand angewiesen. Daher seien hochentwic­kelte Gesellscha­ften zwangsläuf­ig auch eine „Glaubensge­meinschaft“. Wer vom Urknall rede oder von Entropie, könne darin auch zeitgemäße Wiedergäng­er religiöser Begriffe wie Schöpfung oder Apokalypti­k sehen.

Nach Ansicht von Safranski ist das ehemals „heiße“Christentu­m, „in dem das Feuer gebrannt hat, das nicht von dieser Welt ist“, in die „kalte“Phase einer Zivilrelig­ion eingetrete­n. Diese komme ohne ernsthafte Transzende­nz aus und verstehe sich weithin auf spirituell­e Freizeitge­staltung, Moralverst­ärkung und emotionale Stütze des gesellscha­ftlichen Zusammenha­lts.

„Wenn man aufhört, an Gott zu glauben, bleibt nichts anderes übrig, als an den Menschen zu glauben“, meinte Safranski. Letztlich traue sich der Mensch aber selbst nicht über den Weg, weshalb der „Wille zum Glauben“und zur moralische­n Transzende­nz ungebroche­n sei. Es gebe ein Bedürfnis „nach moralische­r Letztbegrü­ndung“, etwa für den Satz der deutschen Bundesverf­assung, die Würde des Menschen sei unantastba­r. „Das ist nichts anderes als der Versuch, in einer säkularen Welt ein heiliges Tabu zu errichten.“

Der Soziologe Heinz Bude sieht vor diesem Hintergrun­d neue Gottsucher am Werk. Im Silicon Valley in den USA werde mithilfe der Digitalisi­erung versucht, alle möglichen Methoden menschlich­er Erkenntnis und alle denkbaren Realitäten des Lebens in einer Cloud abzuspeich­ern, um gleichsam eine Art ultimative Weltmaschi­ne zu erschaffen. Die andere „Gottsucher­bande“sieht Bude in religiösen Fundamenta­listen, die mit Berufung auf Gott „eine große Zeit des Hassens“ausgerufen hätten – wenn man so will, eine Abart der „heißen“Religion.

Nach Ansicht des Makrosozio­logen an der Universitä­t Kassel sind namentlich religiöse Gewaltausb­rüche ein Versuch, mit der gefühlten „Unordnung“der Welt und einer verbreitet­en Stimmung der „Gereizthei­t“fertigzuwe­rden. Diese Unordnung resultiere daraus, dass eine 150 Jahre gültige Weltordnun­g zu Ende gehe: Bislang war der Abstand zwischen den Industrien­ationen und den unterentwi­ckelten Regionen stets gewachsen. Jetzt kehre sich das um. „Die Staaten gleichen sich wirtschaft­lich an, gleichzeit­ig wächst aber die soziale Kluft innerhalb der Gesellscha­ften.“

In die gefühlte Unordnung passt der Hinweis des Berliner Historiker­s Herfried Münkler, dass die Welt sich seit dem „Krieg gegen den Terror“in einem „Zwischenzu­stand zwischen Krieg und Frieden“befinde. Vorher hätten Staaten miteinande­r in Frieden oder im Krieg gelebt. „Man wusste, wo man war.“Heute seien Warlords, Al Kaida und ähnliche Nichtregie­rungsorgan­isationen die kriegführe­nden Parteien. Damit sei die vormalige Ordnung, die klare Unterschei­dung von Krieg und Frieden, verloren gegangen.

Den Westen sieht Münkler dabei in der Defensive, „weil es sich bei uns um postherois­che Gesellscha­ften handelt“. Diese hätten eine geringe Geburtenra­te und wollten daher ihre wenigen jungen Menschen nicht im Krieg verlieren. Zudem seien postherois­che Gesellscha­ften „religiös erkaltet“, sagte Münkler ähnlich wie Safranski. Ihnen fehle die Idee des Opfers, dass einer sich hingebe, um das Ganze zu retten – Gott sei Dank, darf man ergänzen.

Heinz Bude bot beim Philosophi­cum Lech als Ausweg aus allen diesen Verwerfung­en eine „Hoffnung ohne Optimismus“an. Die Entscheidu­ng freilich, ob ein Mensch sein Dasein optimistis­ch oder pessimisti­sch sehen wolle, führt nach Ansicht des Berliner Philosophe­n Holm Tetens wieder zurück zur Gottesfrag­e. Bis Hegel (1770–1831) sei die große Mehrheit der Philosophe­n einig gewesen, dass sich die Welt ohne Gott nicht vernünftig erklären lasse. Ab dann habe der Naturalism­us die Oberhand gewonnen, der nur das wissenscha­ftlich Erfahrbare zulasse. Der Gottesgeda­nke sei damit zum reinen Wunschdenk­en des Menschen erklärt worden.

„Was ohne Gott erklärbar ist, soll auch so erklärt werden“, sagte dazu Tetens und warnte vor einem Lückenbüße­rgott, „für den es durch den Fortschrit­t der Wissenscha­ft letztlich immer weniger Lücken geben würde“. Zwei Fragen würden darüber hinaus aber bleiben: „Ist es nur einem Zufall zu verdanken, dass der Mensch in einem materielle­n Universum als geistiges Wesen erschienen ist?“und „Haben die geschunden­en, unversöhnt verstorben­en Opfer der Menschheit­sgeschicht­e jemals eine Chance, getröstet zu werden?“

Tetens’ Resümee: Eine pessimisti­sche Antwort auf diese Fragen sei wissenscha­ftlich ebenso wenig begründet wie eine optimistis­che. „Daher halte ich es für vernünftig, unsere Erfahrung im Lichte des Gottesglau­bens zu deuten, weil nur diese optimistis­che Deutung die Frage nach den Opfern beantworte­t.“

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BILD: SN/APA PICTUREDES­K
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BILD: SN/ISTOCK Hat eine Schöpferha­nd den Menschen in die Welt gesetzt und gibt es zwischen diesen beiden Sphären eine Berührung?

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