Plötzlich tut jeder Schritt weh
Altern kann beschwerlich sein. Vor allem, wenn es innerhalb von wenigen Minuten passiert: Die SN haben einen Altersanzug getestet. Die Bevölkerung im Land Salzburg altert
Der Fuß hebt sich, der Oberkörper schwankt und droht nach hinten zu kippen. Es ist, als würde man durch Wasser laufen. Jeder Körperteil ist schwer, jede Bewegung voller Widerstand. Die ersten Meter im Age-Explorer-Anzug sind hart. Die nächsten noch härter. Dabei ist das Experiment, das die Schulungsteilnehmer von Villeroy & Boch im Trainingscenter in Hallwang durchführen, nicht länger als zehn Minuten. Doch die haben es in sich. Denn die Testpersonen sind innerhalb von Minuten auf 80 Jahre gealtert.
Andrea Leifert von der Vertriebsleitung hat zuerst noch das Ziel der Aktion erklärt. Die Bevölkerung wird immer älter: In Salzburg sind derzeit 130.000 Personen über 60 Jahre alt, 45.000 über 75. 2030 wird jeder dritte Salzburger über 60 sein.
Nur ein Bruchteil der Pensionisten lebt in Seniorenwohnhäusern: 93 Prozent wollen zu Hause wohnen. Jeder Fünfte ist jedoch schon in der Mobilität eingeschränkt. Das bringt Herausforderungen mit sich.
Die Jungen können sich nicht vorstellen, wie sich das anfühlt, das Altern. Deshalb quetschen sich nun die Mitarbeiter der Sanitätsgroßhändler in den Anzug. Sie haben tagtäglich mit älteren Kunden zu tun und sollen sie besser verstehen. Sie sollen merken, welche Bedürfnisse Ältere haben.
Am Anfang war noch alles okay. Als sich die Klettverschlüsse um die Bandagen um Knie und Ellbogen schlossen, fühlte es sich an wie früher: bei den Inlineskates war es ähnlich. Doch dann kam der Hüftgurt, gemeinsam mit dem gemeinen Ding. Das Ding hat die Form einer schusssicheren Weste, ist aber sicher drei Mal so schwer. Es zieht die Schulter hinunter, staucht die Wirbelsäule und macht jede Minibewegung anstrengend.
Ältere Menschen würden als Zielgruppe immer wichtiger, sagt Leifert. Das Altern sei jedoch sehr individuell. Die Salzburger zwischen 65 und 85 fühlen sich im Schnitt um zehn Jahre jünger – zu Recht, denn viele Ältere seien noch fit.
Über das gemeine Ding ist inzwischen ein grauer Overall gekommen, der mit Gewichten versetzt ist. Nun wird es jedoch ernst. Ein Kopfhörer nimmt einen Großteil des Hörvermögens, eine Brille simuliert grauen Star. Darüber kommt ein Helm mit gelbem Visier. Die Tester sehen aus wie Astronauten. Innen drinnen fühlt sich jedoch gar nichts schwerelos an. Vor allem nicht bei dem Versuch, in die Badewanne hineinzusteigen. Vorsichtig das Knie heben, den Fuß aufsetzen. Der zweite folgt, hinlegen. Das Aufsetzen ist ein Kraftakt, das Aufstehen schlimmer als nach einer durchzechten Nacht.
In den Age-Explorer schlüpfen nicht nur die Kundenberater, auch Produktentwickler testen so die neuesten Erfindungen. Das Bad solle komfortabler werden, sagt Leifert: „Viele wollen sich beim Schminken hinsetzen oder eine bodengleiche Dusche.“
Plötzlich steht da jemand. Er ist ungefähr gleich groß, die Stimme ist männlich. Doch wie sieht er aus? Kennt man ihn? Will er gegrüßt werden? Die Brille verschleiert alles. Bekanntes wird unbekannt, Vertrautes plötzlich fremd. Und Fremdes? Unmöglich einzuschätzen. Eine Hand legt sich beruhigend auf den Arm. „Kommen S’“, sagt Leifert und führt in das Center zurück.
Doch dann bleibt sie vor der Treppe stehen. Oh nein. Wackelige Knie erklimmen Stufe um Stufe. Die Augen können nicht klar erkennen, welche Struktur der Boden hat. Rutschig? Glatt? Keine Ahnung. Die Hand krampft sich um das Treppengeländer.
Das Trainingscenter in Hallwang gibt es seit einem Jahr. In dieser Zeit haben Außendienstmitarbeiter 220 Personen geschult. „Unsere Produkte wurden technisch immer anspruchsvoller, deshalb wollten wir auch die Fachleute schulen“, sagt Leifert. Neben dem Age-Explorer-Badtag gibt es auch eine Möbelschulung, die eine Werksbesichtigung in Mondsee beinhaltet.
Schließlich nimmt Frau Leifert den Helm wieder ab, löst die Bandagen und nimmt das gemeine Ding weg. Man möchte Luftsprünge machen und tanzen, so leicht ist alles.
„Salzburger zwischen 65 und 85 fühlen sich um zehn Jahre jünger.“
leben derzeit 130.000 Menschen über 60 Jahren, das sind 24 Prozent der Bevölkerung. 45.000 sind über 75 Jahre alt. werden 175.000 über 60 sein, das ist jeder Dritte. der Pensionisten wollen zu Hause wohnen bleiben. 23 Prozent sind jedoch in ihrer Mobilität eingeschränkt.