Psychiater Haller übt Kritik am Rechtssystem
GRAZ, WIEN. Der wegen dreifachen Mordes und Mordversuchs in 110 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilte Grazer Amokfahrer Alen R. ließ noch am Donnerstagabend über seine Verteidigerin ausrichten, dass er in Graz bleiben möchte. Grund dafür ist seine enge Beziehung zu seinen Eltern, von denen er ständig besucht werden möchte. Das Urteil der acht Geschworenen – sie hielten Alen R. gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft und die Expertise des Obergutachters für zurechnungsfähig – ist noch nicht rechtskräftig.
Wo Alen R. seine Haftstrafe wird verbüßen müssen, ist derzeit noch unklar. Während zurechnungsunfähige Menschen in den spezialisierten Anstalten Göllersdorf und Asten untergebracht werden, kommen zurechnungsfähige Straftäter in die Justizanstalten Krems-Stein, Garsten, Graz-Karlau und Mittersteig, die über Abteilungen für den Maßnahmenvollzug verfügen. Göllersdorf und Asten muss man sich wie psychiatrische Krankenhäuser vorstellen. Dort erhielten Patienten Ergotherapie und sozialpädagogische Maßnahmen, da sie häufig aufgrund ihrer Erkrankung nicht alltagstauglich seien, sagt Britta Tichy-Martin, Sprecherin des Justizministeriums.
In den Justizanstalten werden die Insassen medikamentös versorgt. Sie erhalten Gruppen- und Einzeltherapien bei Psychologen und Psychotherapeuten. Derzeit befinden sich 379 zurechnungsfähige Täter im Maßnahmenvollzug. Franz Derflinger, Leiter der Justizanstalt Garsten, spricht von einer „extrem bunten Mischung“im Maßnahmenvollzug. „Man muss sehr flexibel auf die Bedürfnisse der einzelnen Insassen reagieren.“Es komme in Einzelfällen immer wieder vor, dass Häftlinge nach Göllersdorf überstellt werden, wenn sich eine Krankheit verschlechtere. Grundsätzlich kämen Garsten-Insassen, die an einer Psychose oder Depression litten, zur Akutbehandlung in die Linzer Spezialklinik Wagner-Jauregg.
Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts Wien, forderte nach dem Amokfahrer-Urteil eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit. Statt allein die Laienrichter sollten Berufs- und Laienrichter gemeinsam über die Frage der Schuld befinden und ihre Entscheidung entsprechend begründen. „Ein begründetes Urteil wäre rechtsstaatlich von Vorteil“, sagte Forsthuber. Derzeit entscheiden die acht Geschworenen allein über Schuld oder Unschuld und müssen ihre Wahrheitsfindung in keiner Weise rechtfertigen. Über die Strafhöhe und darüber, ob ein Täter als gefährlich eingestuft wird und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen ist, entscheiden wiederum Geschworene und Berufsrichter gemeinsam. Kritik am bestehenden Rechtssystem kommt auch vom bekannten Psychiater Reinhard Haller. Ihn stört der Umstand, dass die Geschworenen zu entscheiden hatten, ob R. zurechnungsfähig war. Zwei von drei psychiatrischen Gutachtern hatten Alen R. Zurechnungsunfähigkeit bescheinigt.
Bis zur Rechtskraft des Urteils im Amokfahrerprozess dürften noch einige Monate vergehen. Liane Hirschbrich, die Verteidigerin von Alen R., hat eine Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof gegen das Urteil angekündigt. Ihre Begründung: „Mein Mandant leidet, wie viele Experten festgestellt haben, an einer schweren geistigen Krankheit.“Er sei zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig gewesen und gehöre in einer Anstalt psychiatrisch behandelt.