Die Salzburger Festspiele werden zum Epizentrum
Der 1. Oktober 2016 ist ein Lostag für Markus Hinterhäuser. Ab nun will er gestalten, was er „Epizentrum“nennt. Allerdings könnte es bei den Salzburger Festspiele 2017 aus einem anderen Grund ein Problem geben.
Mit fünf neuen Opern-, fünf neuen Schauspielproduktionen und rund 80 Konzerten beginnt eine neue Intendanz der Salzburger Festspiele. Alles sei gut vorbereitet, versichert Markus Hinterhäuser, dessen Fünfjahresvertrag als Künstlerischer Leiter beginnt. Zum Amtsantritt trafen ihn die Chefredakteure der Bundesländerzeitungen zum Interview. SN: Heute, Samstag, beginnt Ihre Amtszeit als Intendant der Salzburger Festspiele. Wie geht’s Ihnen? Markus Hinterhäuser: Gut. Ich hatte ja genug Zeit, mich vorzubereiten. Ich weiß, was ich übernehme, und ich tue das mit großer Freude und großem Interesse.
Intendant der Salzburger Festspiele zu sein ist ja nicht irgendetwas, es ist ein Privileg. SN: Diese Festspiele künstlerisch zu leiten ist eine schwierige und oft harte Arbeit. Sie sind einer breiten öffentlichen Wahrnehmung ausgesetzt – damit auch öffentlicher Kritik. Was daran ist ein Privileg? Es ist das größte, berühmteste und wichtigste Festival der Welt. Und es ist immer noch ein großzügig ausgestattetes Festival, finanziell und in seinen künstlerischen Möglichkeiten, die ich allerdings nicht als eine beliebige Aneinanderreihung mehr oder weniger gelungener Veranstaltungen verstehen möchte.
Die Salzburger Festspiele müssen in der Lage sein, einen Anspruch zu formulieren. SN: Wie lautet der? Die Salzburger Festspiele sollen ein Epizentrum des Außerordentlichen sein, ein Epizentrum des Nachdenkens über die Welt.
Allein das Wort „Festspiel“ist ja interessant. Es setzt sich aus „Fest“und „Spiel“zusammen. Das Fest ist eine Zusammenkunft abseits des Alltags, ein Heraustreten aus dem Alltag. In seinem Sinn bedarf es einer Inszenierung.
Und das Spiel kann durchaus anstrengend sein, ist aber ohne Anmut und Leichtigkeit auch nicht denkbar. Selbst das kleinste Kind, das mit seinen Autos spielt, folgt ja einem Gedankengang. SN: Wie politisch wollen Sie Ihre Intendanz anlegen? Große Kunst beschäftigt sich mit der Gesellschaft, dem Menschen, dem Individuum, der conditio humana. Sie entsteht und manifestiert sich sicher nicht in einem politikfreien Raum. Aber als Intendant fühle ich mich nicht dazu aufgerufen, eine Verfassung zu proklamieren. Und an einfältigen Aktualisierungen bin ich schon gar nicht interessiert. SN: Große Kunst ist auch dadurch charakterisiert, dass sie den Rahmen des Bestehenden aufbricht. Ist dafür die Bereitschaft im Publikum der Salzburger Festspiele oft zu begrenzt? Das ist eines der vielen Klischees. SN: Stimmt es nicht? Nein. Die Salzburger Festspiele bieten in fünfeinhalb Wochen 250.000 Karten an. Wir haben ein riesiges Publikum, das neugierig ist, offen ist und ernst genommen werden möchte.
Warum und mit welchen Erwartungen, Wünschen und Ansprüchen jemand nach Salzburg kommt, unterziehe ich keiner Beurteilung. Ich bin Intendant der Salzburger Festspiele und nicht deren Türsteher. Mir ist jeder willkommen.
Aber jedem gefallen, das müssen wir auch nicht. Kunst ist nur in den allerseltensten Fällen konsensual. „Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken.“Dieses Postulat eines meiner „Götter“, Luigi Nono, war ja das Salzburger Festspielmotto 2011. Dabei bleibe ich. Animieren, Interessieren, Verwandeln und das, was Gustave Flaubert „Die Erziehung des Herzens“genannt hat, darum geht es. SN: Sie sprechen vom „Nachdenken über die Welt“. Welche Veränderungen täten uns gut? Dazu kann ich keine knappe Antwort geben. Da gibt es ein Zusammenspiel aus dem, was wir Kultur nennen, mit einem Gebilde, das wir Gesellschaft nennen, es geht um unser Miteinander und um Verantwortung. Vieles aus diesem Zusammenspiel ist in großen Kunstwerken nachlesbar.
Nehmen wir das Phänomen der Macht: Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „La clemenza di Tito“, mit der die Salzburger Festspiele 2017 beginnen werden, eröffnet tiefe Reflexionen über Strategien der Macht und über etwas unendlich Wichtiges: das Verzeihen. Und die Oper „Lear“von Aribert Reimann, als fünfte und letzte Neuinszenierung 2017, handelt vom Irrewerden an der Macht, vom Einsamwerden, vom Verlust jeder menschlichen Bindung, sogar zu den eigenen Kindern. SN: Laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage wünscht eine Mehrheit der Österreicher eine Führerfigur. Zugleich sind im Parteiengefüge Zentrifugalkräfte zu beobachten. Muss Kultur darauf antworten? Kann sie antworten? Sie kann und sie muss Fragen stellen, aber antworten? Da kann man schon an seine Grenzen stoßen.
Wir können es versuchen, aber ob wir die Oper X oder das Schauspiel Y machen, das ändert ja nichts an der Weltsituation! Damit lösen wir nicht den Syrien-Konflikt oder die Flüchtlingsfrage. Aber zum Nachdenken und zur Empathie anregen, das können wir, das ist jede Anstrengung wert. SN: Vermissen Sie Empathie imAlltag? Ja, ich vermisse sie. Ich kann nicht behaupten, dass sich unsere Gesellschaft durch ein Übermaß an Empathie auszeichnet Und doch gibt es immer wieder kleine Wunder, wie wir sie im Herbst des vergangenen Jahres erleben konnten.
Aber solche Wunder sind fragil. Und die Gegenbewegungen lassen nicht lang auf sich warten. Mit ihrem Auftreten und ihrer Aggressivität versuchen sie, jedes Mitgefühl und jede soziale Verantwortung ins Wanken zu bringen – bis zur Neutralisierung. SN: Sollte Norbert Hofer (FPÖ) die Stichwahl für die Bundespräsidentschaft gewinnen, würde er vermutlich die Salzburger Festspiele 2017 eröffnen. Hätten sie ein Problem damit? Ja. SN: Sie waren fünf Jahre Konzertchef der Salzburger Festspiele und ein Jahr deren Interimsintendant. Nun gehen Sie mit viel Vorschusslorbeeren in die neue Amtszeit. Belastet oder beflügelt Sie das? In gewisser Weise beides. „Belastung“würde ich es nicht nennen, aber ich verhehle nicht, dass ich diesen Druck von außen nicht einfach abschütteln kann. Andrerseits ist diese Erwartungshaltung auch motivierend.
Robert Musil spricht von Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn. In dieser Dialektik befinde ich mich: Ich weiß genug über die Wirklichkeit, und ich weiß auch, was möglich ist. Manchmal stimmt halt das Mögliche nicht mit dem Wirklichen überein. SN: Was wird am kommenden Montag für Sie anders werden? Ich werde viele, viele Visitenkarten bekommen. Das habe ich schon einmal erlebt (das Jahr seiner Interimsintendanz 2010/11, Anm.). Aber überall wo ich hin bin, hab ich die Visitenkarten vergessen! Eine einzige hab ich weitergegeben – an meine Mutter. Auch diesmal gebe ich ihr eine. SN: Und die anderen? Hm. Wenn ich nach Japan nehme ich welche mit.
„Ich bin Intendant der Salzburger Festspiele, nicht deren Türsteher.“ „Kunst ist nur in den allerseltensten Fällen konsensual.“
fahre,