Zu Gast im „anderen Silicon Valley“
Die meisten Start-ups pro Einwohner gibt es in Tel Aviv. Wie Israel zum IT-Nabel wurde und wieso das Militär eine große Rolle spielt.
Ein Hochhaus. Mehr als 20 Stockwerke ziehen sich über Beton und Glas. Vor dem Eingang kontrolliert ein Wachmann akribisch die Besucher. Sogar die kleine pinkfarbene Handtasche einer jungen Frau wird durchwühlt. Die Besucher wollen in Stock zwei des Gebäudes. Man solle den Aufzug nehmen, rät der Wachmann. Als sich die Aufzugstür in der zweiten Etage öffnet, fällt der erste Blick auf ein überdimensionales Pult. Doch das freundliche „Hello!“der Empfangsdamen geht unter. Denn Blick zwei geht nach links. Dort stehen Sitzmöbel im Kaffeehausstil, bevölkert von jungen Menschen mit Laptop oder Tablet auf ihrem Schoß. Dahinter ermöglicht eine Glasfront einen atemberaubenden Blick auf Palmen und Hochhäuser. In der linken Ecke arbeiten einige der jungen Menschen in telefonkabinenartigen Boxen. Und auf der rechten Seite steht eine riesige Bar. Dort kann man selbst Bier zapfen.
Das WeWork-Gemeinschaftsbüro am Sarona Market, ein sogenannter Coworking-Space, ist ein Paradebeispiel für jene junge Wirtschaftsszene, die Tel Aviv erfasst hat. Die zweitgrößte Stadt Israels bezeichnet sich selbst als „das andere Silicon Valley“. Und zumindest die Fakten geben der Stadt recht. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es mehr Start-ups im Verhältnis zur Einwohnerzahl: In Tel Aviv kommt ein Jungunternehmen auf 290 Einwohner. Pro Quadratkilometer finden sich 28 Start-ups. „Wenn Sie in Tel Aviv einen Stein werfen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie ein Start-up treffen“, sagt Mira Marcus, die Pressesprecherin der Stadt.
Wie hat es ein 400.000-Einwohner-Ort geschafft, zum weltweit zweitgrößten Brutkasten für technische Ideen zu werden? „Entwickler zu sein, steckt in unserer DNA“, beschreibt Marcus. Bereits die Stadt selbst sei eine Art Start-up-Projekt gewesen. An Jaffa, den ältesten antiken Hafen, wurde vor rund 100 Jahren Tel Aviv angeschlossen. „Hier gab es nichts außer Wüstensand.“
Doch die historisch gewachsene Veranlagung ist nur ein Teil der Wahrheit. Die politisch bedingte Nähe zu den USA hilft ebenso wie eine Regierung, die jährlich Milliarden zuschießt: Vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden in Forschung und Entwicklung investiert – der höchste Satz weltweit.
Liron Azrielant hält einen anderen Faktor für ausschlaggebend. Die Israelin ist die lokale Direktorin der US-Risikokapitalgesellschaft Blumberg Capital, die stark auf den israelischen Markt setzt. „Die IDF (das israelische Militär, Anm.) ist der weltbeste Inkubator für Ideen“, sagt Azrielant. Jeder Israeli, egal ob Mann oder Frau, muss für drei Jahre Ralf Hillebrand berichtet für die SN aus Tel Aviv einrücken. Und in diesen drei Jahren wird vor allem auf IT-Ausbildung großer Wert gelegt. Die Einheit für elektronische Aufklärung, Unit 8200, gilt etwa als Brutstätte für IT-Innovatoren. „In meiner Einheit gab es eine ganz besondere Gruppe. Jeder von uns hat später ein Unternehmen aufgezogen, das zumindest eine halbe Milliarde Dollar wert ist“, wird Avishai Abrahami zitiert. Der Israeli hat mit seinem Website-Baukasten Wix einen NASDAQ-Riesen geschaffen. Auch das von Google gekaufte Navigationssystem Waze stammt aus Tel Aviv.
Noch stärker sind die Unternehmen bei Business-to-Business-Lösungen. Ein Erfolgsbeispiel ist Check Point. Die Online-Sicherheitsfirma ist eine der größten ihrer Art. 4200 Mitarbeiter arbeiten für mehr als 100.000 Kunden. Im Cybersecurity-Bereich hat sich Israel grundlegend etabliert: Auf einem von sechs PCs weltweit läuft israelische Antivirensoftware.
Doch selbst in Israel ist nicht alles Gold, was in der Start-up-Branche glänzt. Rund 97 Prozent der Jungunternehmen scheitern. In den meisten Fällen nehmen die Israelis aber einen zweiten oder dritten Anlauf. Scheitern ist Teil des Erfolgs.
Auch SafeBreach hat den großen Durchbruch noch nicht geschafft. Das Sicherheitsunternehmen sitzt im Nebenhof einer Tankstelle. Da der Hausaufzug kaum Platz bietet, muss sich eine größere Gruppe zu Fuß in den dritten Stock kämpfen. Im Treppenhaus warten Zigarettenstummel und viel Staub. SafeBreach konnte in neun Monaten seit Verkaufsstart seines Risikosimulators für Cyberattacken zwölf Kunden gewinnen. Doch immerhin ist mit der Deutschen Telekom ein Großinvestor an Bord. Die Mutter von T-Mobile ist in Israel besonders aktiv. Neben Investments über einen Kapitalfonds und einem Innovationslabor setzt der Konzern noch auf den Inkubator „Hub:raum“, der Jungunternehmen weiterentwickeln soll.
Vor allem in der IT-Branche gibt es kaum ein Unternehmen, das nicht in Tel Aviv sitzt. Vom zentralen Rothschild Boulevard bis an den Stadtrand verteilen sich Ableger von Google, Microsoft oder Facebook. Auch Österreich setzt auf Kooperationen mit der Start-up-Szene. Und dabei hat Österreich etwas zu bieten, das vor Ort fehlt: „Israel hat wenig Markt und deshalb kaum Industrie“, beschreibt Günther Schabhüttl, Delegierter der österreichischen Wirtschaftskammer in Tel Aviv. Israel sei ähnlich groß wie Österreich, aber da die Nachbarländer kaum mit ihnen handeln wollten, müssten die Unternehmen global denken – und sich das Industrie-Know-how etwa in Österreich holen. Erst vor Kurzem habe sich erneut ein israelisches Unternehmen in Wien angesiedelt. Aber selbst Schabhüttl konstatiert, dass der Lerneffekt primär in eine Richtung läuft. „Wir können von israelischen Start-ups viel lernen. Vor allem in der Frühphase gibt es wenige Unternehmen, die derart gut sind.“