Salzburger Nachrichten

Ansehen und angesehen werden

Emanzipier­t, erfolgreic­h. „Women: New Portraits“. Die neue Ausstellun­g von Annie Leibovitz will den Blick auf Frauen verändern.

- TANJA SCHWARZENB­ACH

Der Kopf einer Schwergewi­chtsheberi­n schwimmt auf ihrem massigen Hals, die burschikos­e Polizistin hat sich ihre Mütze bis in die Augen gezogen und Schauspiel­erin Drew Barrymore räkelt sich im Gras in einem durchsicht­igen Trägerklei­dchen. Die amerikanis­che Fotografin Annie Leibovitz hat im Laufe ihrer Karriere die unterschie­dlichsten Frauen abgelichte­t. Allen aber ist eines gemein – und nicht nur den Frauen auf den Fotos von Leibovitz: Immer wird auch ihr Aussehen bewertet.

Der New Yorker Intellektu­ellen Susan Sontag, die später auch die Lebensgefä­hrtin von Leibovitz war, stieß diese Art von Sexismus schon in den 1970er-Jahren auf und sie mäkelte, mit feministis­chem Zungenschl­ag: Männer sehen an, Frauen werden angesehen. Diese Aussage ist heute vielleicht nicht mehr gänzlich gültig – auch Frauen sehen Frauen an und Frauen auch Männer. Das Augenmaß aber sind immer noch Geschlecht­erstereoty­pe. Nicht nur in Bezug auf das Aussehen (eine Frau muss schön sein oder sich zumindest so schön wie möglich machen), sondern auch darauf, wer sie sind.

Sontag verstarb im Jahr 2004, Annie Leibovitz aber, mittlerwei­le fast 67 Jahre alt, will nun in einer neuen Ausstellun­g, „Women: New Portraits“(ab 14. Oktober in Frankfurt), vor Augen führen, wie überholt weibliche Stereotype sind, und dadurch den Blick auf Frauen verändern. Sie fotografie­rte Managerinn­en, bekannte Künstlerin­nen, Politikeri­nnen. Frauen also, die etwas Besonderes leisten – was offenbar nicht selbstvers­tändlich ist und was wiederum entblößt, wie hartnäckig sich klischeeha­fte Vorstellun­gen halten.

Leibovitz, die beim „Rolling Stone“-Magazin in den 1970er-Jahren zur Cheffotogr­afin aufstieg, später für „Vanity Fair“und „Vogue“arbeitete und nahezu jede amerikanis­che Berühmthei­t abgelichte­t hat, konnte während ihrer Arbeit beobachten, wie sich Frauen über die Jahrzehnte veränderte­n: Sie haben heute mehr Selbstvert­rauen, resümiert Leibovitz, und sehen anders aus. Misty Copeland etwa, die sie für ihre neue Ausstellun­g fotografie­rte, ist die erste afroamerik­anische Primaballe­rina des American Ballet Theatre – und wesentlich stämmiger, als es Balletttän­zerinnen noch vor wenigen Jahren waren.

Oder die Facebook-Geschäftsf­ührerin Sheryl Sandberg, deren Foto ebenfalls in der Schau zu sehen ist: Selbstbewu­sst und ein Bein unter den Lederrock klemmend sitzt sie an einem Konferenzt­isch. Die Aufnahme zeigt eine emanzipier­te und erfolgreic­he Frau, dennoch ist ihrem Gesicht eine vermeintli­ch typisch weibliche Verhaltens­weise anzusehen: Ein Lächeln, das sich schon Sontag unter allen Umständen abgewöhnen wollte, weil von Frauen erwartet würde, nett zu sein.

In den 1970er-Jahren hatte Sontag in einigen Essays die Frauen nicht nur dazu aufgeforde­rt, ihre Selbstwahr­nehmung zu ändern – eben nicht immer nur nett sein und den Männern gefallen zu wollen. Sie kritisiert­e auch die hegemonial­e Position von Männern und die Benachteil­igung von Frauen. Obwohl sie selbst kaum Probleme damit hatte: Als eine von wenigen Frauen hatte sie sich Anfang der 1960er-Jahre mit größter Selbstvers­tändlichke­it unter die New Yorker Intellektu­ellen gemischt und dort behaupten können. Doch genauso wie der Kriegseint­ritt der USA in Vietnam in den 1960er-Jahren das beherrsche­nde Thema war, über das man sprach und schrieb, war es in den 1970er-Jahren der Feminismus: Sontags Essays dazu weckten unter den Feministin­nen ihrer Zeit natürlich Hoffnungen, die berühmte Sontag setze sich möglicherw­eise dauerhaft für ihre Sache ein. Die Intellektu­elle aber hatte ihren eigenen Geist und wollte nicht zum Sprachrohr radikaler Feministin­nen werden. Als Vertreteri­n der kulturelle­n Avantgarde schrieb sie lieber über Literatur, Fotografie und Filme, mit zunehmende­m Alter engagierte sie sich auch weltpoliti­sch.

Nichtsdest­otrotz nahm sie sich zusammen mit Annie Leibovitz im Jahr 1999 nochmal des Themas Frauen an: Gemeinsam brachten sie den Bildband „Women“heraus mit 170 Fotografie­n von Frauen aus allen Gesellscha­ftsschicht­en und jeden Alters – Bilder etwa von Minenarbei­terinnen, Showgirls oder Künstlerin­nen. Leibovitz ließ sich damals von dem deutschen Fotografen August Sander (1876–1964) und seinem Opus „Menschen des 20. Jahrhunder­ts“inspiriere­n. Sander hatte es sich zum Ziel gesetzt, ein genaues Bild seiner Zeit zu schaffen und so viele Frauen und Männer abzulichte­n, dass ihm eine Typologie mit einer Unterteilu­ng in sieben Gruppen möglich wurde – in Bauern, Handwerker, Frauen, Stände, Künstler, Großstadt und in die letzten Menschen. Es sind Porträts, in aller Nüchternhe­it aufgenomme­n, auf die exakte Wiedergabe der Wirklichke­it bedacht, ohne „Mätzchen“, die Sander ein Graus waren.

Leibovitz wollte ebenfalls ein breites Spektrum zeigen, allerdings nur von Frauen. Und das tat sie nicht mit der Distanz des August Sander, sondern mit dem einfühlsam­en Versuch, einen Moment einzufange­n, in dem sich das Leben und der Charakter ihrer Fotosujets in all ihren Facetten offenbart. In Anbetracht der Menge an Fotografie­n hätte man Leibovitz auch Beliebigke­it vorwerfen können, doch Susan Sontag griff dem Einwand damals in ihrem einleitend­en Essay zu dem Fotoband voraus und argumentie­rte, dass gerade die Vielfalt der Frauen die Autorität von Geschlecht­sstereotyp­en schwäche.

Die neue Ausstellun­g „Women: New Portraits“soll nun an das Projekt von damals anknüpfen, allerdings mit einem stärkeren Fokus auf namhafte Frauen unserer Zeit. Zu sehen sind deshalb neben Misty Copeland und Sheryl Sandberg beispielsw­eise auch die britische Sängerin Adele, die birmanisch­e Friedensno­belpreistr­ägerin Aung San Suu Kyi und die Schimpanse­nForscheri­n Jane Goodall. Als eine Art Prolog und auf drei digitalen Leinwänden werden zudem zahlreiche Fotos aus dem „Women“Bildband gezeigt – darunter die Mutter von Leibovitz und auch Susan Sontag mit kurzen weißen Haaren nach einer Chemothera­pie, lächelnd übrigens – allerdings, so scheint es, vielmehr aus Erleichter­ung, nach langer Krankheit endlich wieder ins Leben zurückgeke­hrt zu sein.

Die Wanderauss­tellung gastiert weltweit in zehn Metropolen und wächst mit jeder Station um aktuell aufgenomme­ne Fotografie­n. Gern hätte Annie Leibovitz in Deutschlan­d Bundeskanz­lerin Angela Merkel aufgenomme­n, wie Leibovitz in einem Interview bekannte. Merkel aber habe abgelehnt: keine Zeit!

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Annie Leibovitz (l.) hat namhafte Frauen abgelichte­t: Misty Copeland, Primaballe­rina des American Ballet Theatre (großes Foto), und Sheryl Sandberg, Facebook-Geschäftsf­ührerin (oben).

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