Ein Lob dem Vergessen
Palm Springs. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Wüstenstadt zum Spielplatz für Architekten, heute ist sie ein Open-AirArchitekturmuseum.
Elvis hat das Gebäude verlassen. Vor beinah 50 Jahren schon, nachdem der damals frisch vermählte King of Rock ’n’ Roll ungefähr ein Jahr lang mit Priscilla im „House of Tomorrow“in Palm Springs gelebt hatte. Trotzdem geistert Elvis bis heute durch die Räume der Architektur-Extravaganz im „Honeymoon Hideaway“. Man sieht, wo er einst in den Pool sprang, zur Toilette ging und in welchem Ehebett er seine Flitterzeit verbrachte. Obwohl die meisten auch genau deshalb kommen, ist eigentlich das einstige Zukunftshaus selbst die viel größere Attraktion: Eigenwilliger Retro-Futurismus, 1962 von William Krisel nach einem Grundriss mit vier Kreisen und ohne eckigen Raum erbaut, mit halbrunder Fensterfront, die über der Hecke zu schweben scheint und einem Dach, das sich wie dünne Tragflächen eines Fliegers darüberlegt.
„Ich glaube, ich habe gerade ein Raumschiff gesehen“, soll Elvis gesagt haben, als er das Haus zum ersten Mal sah, das sicherlich zu den außergewöhnlichsten Gebäuden der Wüstenstadt gehört. Dennoch gibt es in Palm Springs noch viel mehr von der sogenannten Mid-Century-Architektur zu entdecken, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand – und die will Robert Imber bei einer seiner „Modern Tours“erklären. Treffpunkt dafür ist die Touristeninformation, die früher einmal eine Tankstelle war und daher eigentlich die übliche Zweckarchitektur vermuten ließe. Doch die 1965 von Albert Frey entworfene Tramway Gas Station sticht schon von Weitem durch ihre kühne Dachkonstruktion ins Auge, die so einfach wie formschön spitz in den Wüstenhimmel sticht. „Das war mehr als eine Tankstelle für unsere Großväter“, sagt der Mittsechziger Imber mit großem Enthusiasmus. „Das war etwas Aufregendes!“Heute ist sie das Portal für eine Zeitreise, zurück in die 1950er- und 1960er-Jahre.
Palm Springs war damals Boomtown. Denn während in den 1920ern und 1930ern nur wenige Menschen dort lebten, zog es im Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit nicht nur zunehmend Besucher der wachsenden Mittel- und Oberschicht nach Palm Springs. Auch unzählige Berühmtheiten entdeckten die von Palmen gesäumte Kleinstadt mit Sonnengarantie als Rückzugsort: Frank Sinatra, Clark Gable, Judy Garland, Kirk Douglas, Liberace, Sonny und Cher – die Liste ließe sich noch ewig fortsetzen.
In dieser glamourösen Zeit entwickelte sich Palm Springs auch zum ExperimentierSpielplatz für teils namhafte Architekten wie Richard Neutra oder John Lautner, der einst das wie ein UFO am Berghang liegende Elrod House errichtete, in dem der Bond-Film „Diamantenfieber“gedreht wurde. Stewart Williams hingegen erbaute 1953 das Edris House. „Das Dach liegt wie falsch herum auf dem Haus – einfach Avantgarde“, sagt Imber.
Offenheit, einfache Formen, klare Linien und ein fließender Übergang zwischen außen und innen gehörten in der Regel zum Konzept – selbst wenn man im Haus war, sollte es sich anfühlen, als stünde man draußen. Breite Panoramafenster öffnen den Blick in die karge Landschaft, teils wurden Materialien aus der direkten Umgebung verbaut. Steht man vor den Häusern, verschwinden die flachen Bauten regelrecht zwischen Sand, Gestein, Riesenkakteen und Palmen.
Als der Desert-Modernism zum Trend wurde, ging er durch die Alexander Company schließlich sogar in Serie – gleichermaßen elegant, modern und dennoch nicht zu teuer, bald entstanden ganze Stadtviertel. Doch auch öffentliche Gebäude wurden in diesem Stil entworfen. Die Aerial Tramway Valley Station etwa, von der die Gondeln im Chino Canyon bis auf 2600 Meter Höhe fahren, das Flughafenterminal oder das Rathaus, bei dem zwei hohe Palmen durch ein kreisrundes Loch im Dach in den Himmel ragen. Diese große Sammlung des einst neuen Architekturstils konnte allerdings nur deshalb die Zeit überdauern und ausgerechnet Palm Springs zum Open-AirMuseum machen, weil die Stadt in den 1970er-Jahren plötzlich in Vergessenheit geriet. „Damals brach die Wirtschaft ein, es gab die internationale Ölkrise, wenig Tourismus und wenig Geld“, erklärt Imber.
Die Nachfrage nach Mid-Century-Architektur ist mittlerweile wieder hoch – auch bei Stars wie Leonardo DiCaprio, der sich für fünf Millionen Dollar ein von Donald Wexler designtes Haus kaufte. „Dank des Modernism“, sagt Imber, der ursprünglich aus Missouri kommt, „ist der Glamour nach Palm Springs zurückgekehrt.“Er grinst. Und erzählt, dass es so etwas wie einen Club in Palm Springs gebe, der nach ihm benannt ist – der „Gib Robert Imber die Schuld“Club für diejenigen, die sich durch seine Tour auch in die Stadt verliebt haben. Und sich schon nach ein paar Stunden im Internet nach Mid-Century-Immobilien in Palm Springs umschauen.