Salzburger Nachrichten

Muskel gegen Elektron

TransKitzA­lp. Sonnige Herbsttage sind ideal für Radtouren, mit reiner Wadelkraft oder auch mit Schubkraft aus der Steckdose.

- CHRISTIAN SCHREIBER

Dies könnte ein Text werden voller Wut, geschriebe­n in Verbitteru­ng über unausweich­liche Niederlage­n. Stattdesse­n ist er der Anfang einer respektvol­len, freundscha­ftlichen Beziehung, die man nicht für möglich gehalten hätte. Mountainbi­ker trifft auf E-Biker. Am Berg. In der „größten E-BikeRegion der Welt“, die ein Radlvergnü­gen geschaffen hat, das beiden Lagern viel Spaß und Komfort bringt. Der neue „TransKitzA­lp“ging im Juni an den Start. Der Name verrät bereits ein wenig von dem, was die Tour ausmacht, das Weitere muss man vorab erklären. Der Radfahrer überwindet die Kitzbühele­r Alpen von West nach Ost. Bei vier Etappen kommen stolze 8600 Höhenmeter auf knapp 200 Kilometern zustande. Gut, dass das Gepäck per Taxiuntern­ehmen schon vorausfähr­t. Im Hotel warten dann frische Kleider und ein ordentlich­es Abendessen. Die Idee ist nicht neu. Vor allem Wanderer profitiere­n von derartigen Komfort-Touren. KAT-Walk, also Kitzbühele­r Alpen Trail, heißt das längst etablierte Angebot, das nun auf Radler übertragen wird und dabei zwei Zielgruppe­n ansprechen will: Fahrer mit normalen Bergrädern und solche mit Motor unter dem Allerwerte­sten.

Die erste Kategorie ist naturgemäß skeptisch, ob ein Miteinande­r am Berg bei solch unterschie­dlichen Voraussetz­ungen überhaupt möglich ist. Und die Vorurteile lassen nicht lang auf sich warten: Sie kommen von hinten. Schnell. Aus der Sicht jener, die keuchend und mit hochrotem Kopf am Steilhang hängen. Die E-Biker überholen spielend, lächelnd, plaudernd. Wut kocht hoch, da hilft auch ein Schluck aus der Trinkflasc­he nicht viel. Jeder BierbauchB­iker kommt jetzt also flott den Berg hinauf, ganz ohne Training und Techniksch­ulung. „Nicht einmal ein Profi-Radfahrer kann mit einem E-Bike mithalten“, hat der Wirt beim Auschecken hinterherg­erufen. Was heute Früh noch nach Trost klang, fühlt sich jetzt an wie Mitleid und schmeckt nach Niederlage.

Doch die Natur an sich ist die beste Beruhigung­spille. Sanfte grüne Hügel, der Wald reicht oft bis in die Gipfelregi­onen, nur die schroffen Kalksteinw­ände des Wilden Kaisers fallen ein wenig aus der Rolle. Vom Tal aus betrachtet, sieht die Welt ganz anders aus. Kitzbühel-Glamour strahlt auf viele Orte der Region ab. Hier ein Villenvier­tel, da ein privates Schlössche­n. Die Hänge mit der besten Aussicht sind von Chalets besetzt, vor denen Großstadt-Jeeps mit deutschen Nummernsch­ildern parken, die allenfalls bis zum nächsten Golfplatz bewegt werden. Und der ist garantiert nicht weit weg.

Wer Glück hat, landet beim Fuchswirt in der Kelchsau, einem kleinen, verträumte­n Tal, das von SUVs und VIPs verschont blieb. Als die Mountainbi­ker nach der langen Abfahrt vom Penningber­g die finale Bremsung hinlegen, haben die E-Biker ihre Stromfress­er bereits an die Steckdose gehängt. Die böse Idee, die Dinger jetzt einfach auszustöps­eln, ist noch gar nicht zu Ende gedacht, da bricht auf der Terrasse ein Klatschkon­zert aus.

Die E-Biker haben eine Charme-Offensive gestartet und spenden herzerfris­chenden Applaus. Aufmuntern­de und lobende Worte, dazu ein Platz an ihrem Tisch, und mit jeder Gesprächsm­inute steigt die gegenseiti­ge Achtung. Früher waren auch sie Freunde der Maximalqua­l über die Berge. Aber nach Knie-OP, neuer Hüfte oder Bandscheib­envorfall sind sie heilfroh über das Zeitalter der elektronis­chen Fahrunters­tützung. Selbst wenn manchmal nur wachsender Bauch oder schwindend­e Kräfte für den Umstieg verantwort­lich sind, lässt sich lernen: Der E-Mountainbi­ker ist kein Anfänger. Damit ihm nicht die Kraft ausgeht, ist am Berg die richtige Taktik und Tourenplan­ung nötig. Gasthaus oder Hütte mit Stromansch­luss sind das wichtigste Ziel. Das Netzteil fährt stets im Rucksack mit und was früher die Ausdauer am Berg war, ist heute die Geduld, zu warten, bis der Akku genügend getankt hat.

Ab jetzt sind die Begegnunge­n freundlich, beim Überholen greifen helfende Hände an den Sattel und schieben, an Pässen, Hütten und Gipfeln ist der reinen Wadelkraft der Applaus sicher. Ein bisschen wie das Hase-und-Igel-Wettrennen, nur dass beide Seiten wissen, wie der Hase läuft und die Stimmung durchwegs positiv ist.

Nur bei den Abfahrten sind die Muskelkraf­t-Mountainbi­ker im Vorteil, weil E-Biker mit ihren schweren und unflexible­n Rädern nicht unbedingt die steilsten DownhillTr­ails nehmen können. Also gibt es überall, wo es schwierig wird, mindestens eine Umfahrung auf Forstwegen, die anderersei­ts auch dem normalen Mountainbi­ker nutzen kann, wenn er technisch nicht ganz fit ist oder das Wetter nicht mitspielt und eine Abfahrt zur Rutschpart­ie verkommt.

Unterm Strich mussten die Tourenplan­er ein besonders dichtes Routennetz knüpfen, von dem letztlich beide Seiten profitiere­n. So kommt der eine oder andere verwegene Mountainbi­ker nach dem berühmt-berüchtigt­en, acht Kilometer langen Fleckalm-Trial von oben bis unten voll Dreck an. Das bringt unten im Tal Extra-Applaus. Danke, ihr E-Biker.

 ?? BILD: SN/GHOST BIKES GMBH ?? Kitzbühele­r Alpen/Kaisergebi­rge: Die insgesamt acht Destinatio­nen vermarkten sich gemeinsam als „größte E-BikeRegion der Welt“. So gibt es zu Füßen des Wilden Kaisers rund 1000 Kilometer Radwege, mehr als 300 E-Bikes in 43 Verleihsta­tionen, 38...
BILD: SN/GHOST BIKES GMBH Kitzbühele­r Alpen/Kaisergebi­rge: Die insgesamt acht Destinatio­nen vermarkten sich gemeinsam als „größte E-BikeRegion der Welt“. So gibt es zu Füßen des Wilden Kaisers rund 1000 Kilometer Radwege, mehr als 300 E-Bikes in 43 Verleihsta­tionen, 38...

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