Salzburger Nachrichten

Kein Zug am Sabbat

Israel per Zug. Die Geschichte des Landes und seiner Eisenbahn ist wechselhaf­t. Nur am Sabbat ist Ruhetag, dann stehen auch die Züge still.

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Durch den Tunnel donnert eine Dampflokom­otive, hinter dem Zug sprengen die Israelis die Bahnverbin­dung in die Luft. Stille. Die Besucher sitzen im Dunkeln. Im Kino im ehemaligen Eisenbahnt­unnel wird die Geschichte von Rosch haNikra für kurze Zeit lebendig, direkt hinter der Projektion­swand befindet sich die Grenze zum Libanon.

Noch immer sind die Gleise der ehemaligen Eisenbahnl­inie im Tunnel zu sehen. Die Briten bauten die internatio­nale Bahnstreck­e, ab 1942 schufen sie eine durchgängi­ge Bahnverbin­dung in Normalspur von Europa bis Ägypten. Die Bahnstreck­e wurde nur militärisc­h genutzt, hier fuhren keine Personenzü­ge. Sechs Jahre später wurde ebendiese Bahnverbin­dung von den Israelis zerstört. Die Kalkfelsen und Grotten im Grenzgebie­t sind heute ein beliebtes Ausflugszi­el. Es sind die Wellen des Mittelmeer­s, die über Jahrhunder­te die Felsgebild­e und Höhlen formten.

Derzeit fahren von Israel keine Züge in die Nachbarlän­der. Wenige Kilometer von Rosch haNikra entfernt liegt der nördlichst­e Bahnhof Israels, Naharija. Von hier führt die Bahnstreck­e Richtung Süden durch historisch­e Städte wie Akko, die Kreuzfahre­rfestung, und Caesarea bis in die Hafenstadt Haifa.

In der Wagenhalle und den Ausstellun­gsräumen des Israelisch­en Eisenbahnm­useums in Haifa riecht es nach Öl. Die Exponate erzählen von der wechselhaf­ten Eisenbahng­eschichte Israels. 1890 bauten die Osmanen die erste Eisenbahns­trecke von Jaffa nach Jerusalem. Der britische Panzerwagg­on wird seit über 60 Jahren nicht mehr benützt, sein Einsatz brachte bei Kämpfen keine Erfolge. Im Freigeländ­e rosten ausrangier­te Waggons und Lokomotive­n vor sich hin. Gebaut wurden sie in Belgien, Frankreich und Deutschlan­d.

Zehn Minuten zu Fuß vom Eisenbahnm­useum entfernt fährt die einzige U-Bahn Israels, die Karmelit, hinauf auf den Berg, nach dem sie benannt ist, den Karmel. Die Standseilb­ahn ist mit 1,8 Kilometern eine der kürzesten U-Bahnen der Welt. Nur die Dorfbahn Serfaus in Tirol mit 1,28 Kilometern und die Tünel-Bahn in Istanbul mit 606 Metern sind kürzer. Für den, der oben ankommt, eröffnet sich ein beeindruck­ender Blick über die Stadt, den Hafen und die Gärten der Bahai. Diese Parkanlage ist über einen Kilometer lang und in exakter Symmetrie auf Terrassen angelegt. Die Religion der Bahai wurzelt zwar im schiitisch­en Islam, hat sich von diesem aber völlig losgelöst. Da die Zahl Neun eine besondere Bedeutung hat, sind genau neun Terrassen bis zum heiligen Schrein des Bab angelegt, vom Gebäude mit der goldenen Kuppel sind es dann nochmals neun Terrassen bis ganz hinunter auf Meereshöhe.

Die Karmelit erleichter­t den steilen Abstieg zurück zum Hafen. Außer am Sabbat, denn am jüdischen Ruhetag fahren keine Züge. Der siebte Tag der Woche beginnt schon am Freitag bei Sonnenunte­rgang und wird in den verschiede­nen Regionen Israels unterschie­dlich begangen. Sehr lebhaft etwa in Tel Aviv und Jaffa. Am Freitag herrscht auf den Märkten Hochbetrie­b, dort wird auch ein spezielles Brot verkauft. „Challa“ähnelt einem Hefezopf, es wird traditione­ll am Abend beim Segensspru­ch über dem Wein gebrochen.

Dann schließen nach und nach die Geschäfte und Märkte, und die Cafés und Bars füllen sich. Bei Schönwette­r wird es in den Gastgärten eng, manchmal spielt Livemusik und die Gäste singen und tanzen. Alkohol, Hummus – die würzige Kichererbs­enpaste – und andere orientalis­che Snacks gehören zum entspannte­n Tagesauskl­ang auch dazu. Kurz vor Sonnenunte­rgang wird es in den Gassen ruhig.

Den Beginn des Sabbats verbringen Juden zu Hause gemeinsam mit der Familie. Doch spätestens gegen Mitternach­t beginnt das Nachleben in den Bars und Diskotheke­n, und die Besucher feiern bis in die frühen Morgenstun­den.

Wirklich große Tanzclubs gibt es in Tel Aviv und Jaffa nicht. Der größte Club Israels befindet sich ausgerechn­et dort, wo der Sabbat sonst sehr ruhig zelebriert wird: in Jerusalem, dem spirituell­en Herz des Landes. Nicht nur für Juden, sondern auch für Christen und Muslime.

Von Tel Aviv nach Jerusalem führt die Eisenbahns­trecke durch das judäische Hügelland. Mit quietschen­den Rädern windet sich der Zug die eingleisig­e Strecke immer weiter hinauf ins Gebirge. Rund eineinhalb Stunden dauert die kurvenreic­he Fahrt, eine neue Bahnstreck­e soll die Fahrzeit auf 30 Minuten reduzieren. Und um den Höhenunter­schied auszugleic­hen, baut die Israelisch­e Eisenbahn am Ende der Hochgeschw­indigkeits­strecke in Jerusalem einen neuen Tiefbahnho­f.

Auf der Großbauste­lle in 80 Metern unter dem Straßenniv­eau riecht es nach frischem Beton und große Scheinwerf­er beleuchten die Baustelle. Wie es hier in den langen Röhren einmal aussehen soll, lässt sich derzeit nur erahnen. 2018 sollen – wenn der Plan eingehalte­n wird – auf den vier Bahnsteige­n die ersten Reisenden ankommen. Außer am Sabbat, da fährt in Israel auch kein Hochgeschw­indigkeits­zug.

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BILD: SN/HUTTER Blick über die Terrasseng­ärten der Bahai auf die Hafenstadt Haifa.

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