Salzburger Nachrichten

Ohne Quote fehlen Österreich bald Tausende Mediziner

Brüssel entscheide­t in den nächsten Wochen über die österreich­ische Mediziner-Quotenrege­lung. Zahlen belegen, dass nur 7,5 Prozent der deutschen Absolvente­n in Österreich bleiben.

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Die Zahl österreich­ischer Absolvente­n in der Humanmediz­in ging seit 2009/10 um 38 Prozent zurück, die Zahl der deutschen Abschlüsse ist von einem Anteil von fünf auf über 18 Prozent geklettert. Aber lediglich 43 von 603 der deutschen Medizinabs­olventen der Jahrgänge 2008/09 bis 2011/12 standen dem Gesundheit­ssystem zur Verfügung. Das sind nur 7,5 Prozent. Ohne Quotenrege­lung würden bis 2030 rund 3500 Ärztestell­en im heimischen Gesundheit­ssystem fehlen.

Diese Zahlen und weitere Daten übermittel­te Österreich nach Brüssel, um nachzuweis­en, dass ohne die prozentmäß­ige Beschränku­ng ausländisc­her Medizinstu­denten die medizinisc­he Versorgung des Landes nicht gesichert ist. Bis Jahresende muss die EU-Kommission entscheide­n. Bei einem Njet zur Quote droht ein neuer Ansturm aus Deutschlan­d. Ein vom Ministeriu­m für den Fall angedachte­r Plan B, Stipendien an mehrjährig­e Bleibeverp­flichtunge­n zu koppeln, könnte EU-rechtlich auch nicht halten.

Eine weitere Baustelle der Hoch- schulpolit­ik ist das Budget. Die Universitä­ten haben – je nachdem, wie man es betrachtet – zu wenig Geld oder zu viele Studenten. Allein ein Medizinstu­dent kostet rund 35.000 Euro pro Jahr. Ein neues Modell der Studienpla­tzfinanzie­rung soll ab 2019 mithelfen, das Missverhäl­tnis von Budgetmitt­eln und Studentenz­ahlen zu beseitigen.

„Wir sind gekommen, um zu bleiben.“– Kein Schlager für jene Tausendsch­aft deutscher Studenten, die vor dem Numerus clausus an die österreich­ischen MedizinUni­s geflohen ist. Von den 603 deutschen Medizinabs­olventen der Jahrgänge 2008/2009 bis 2011/2012 sind 43 geblieben, um dem heimischen Gesundheit­ssystem zur Verfügung zu stehen. Das sind 7,5 Prozent. Ohne die 2006 eingeführt­e Medizinerq­uote, die 75 Prozent der Studienplä­tze österreich­ischen Maturanten zugesteht, wären seit dem Studienjah­r 2011/2012 mehr als 700 Absolvente­n weniger in Österreich geblieben. Und während die Zahl der österreich­ischen Absolvente­n in Humanmediz­in rückläufig ist (minus 38% seit 2009/10), steigt der Anteil der deutschen Absolvente­n (2009/10: 5%, 2014/15: 18,4%).

Diese Zahlen führt Österreich in einer mehr als 180-seitigen Stellungna­hme an die EU-Kommission an, um wie gefordert nachzuweis­en, dass die Quotenrege­lung langfristi­g für das Überleben des heimischen Gesundheit­ssystems unverzicht­bar ist. Ohne Quotenrege­lung würden bis zum Jahr 2030 rund 3500 Ärztestell­en im heimischen Gesundheit­ssystem fehlen, heißt es darin.

Für die Kommission ist die Quotenrege­lung als indirekte Diskrimini­erung EU-rechtswidr­ig: Nur bei wichtigen Gründen – das wäre der Schutz der Gesundheit­sversorgun­g der Bevölkerun­g – könnte die diskrimini­erende Quote gerechtfer­tigt sein. Die drastische Bedrohung des Gesundheit­ssystems versucht Österreich durch die nach Brüssel gesandten Informatio­nen an Kommissar Tibor Navracsics nachzuweis­en.

„Die Kommission wird auf der Grundlage aller vorhandene­n Informatio­nen entscheide­n, ob das Vertragsve­rletzungsv­erfahren wieder aufgenomme­n wird, die vorläufige Aussetzung weiter bestehen bleibt oder der Fall geschlosse­n wird“, heißt es offiziell. Im Wissenscha­ftsministe­rium ist man „vorsichtig zuversicht­lich“, dass die Kommission das Verfahren einstellt oder zumindest das Moratorium für die Quotenrege­lung verlängert. Ein EU-Insider deutet aber auch ein zentrales Problem an: „Ausnahmen führen immer dazu, dass die anderen Länder auch Ausnahmen wollen.“

Der Innsbrucke­r Europarech­tler Walter Obwexer erwartet eine Entscheidu­ng in der Sache, „Endlosmora­torien“seien in der EU nicht üblich. Eine kurze Verlängeru­ng des Moratorium­s werde es allenfalls geben, wenn man Österreich auffordere, weitere Daten nachzulief­ern.

Für den Fall eines Njet der Kommission hat Wissenscha­ftsministe­r Reinhold Mitterlehn­er eine Studienbei­hilfenrege­lung, die mit einer Bleibeverp­flichtung der fertigen Mediziner für einige Jahre verbunden ist, als Plan B aufs Tapet gebracht. Vergleichb­are Regelungen gibt es in Ungarn oder Südtirol. Diese sind nicht unumstritt­en.

Obwexer verweist auf ein beim EuGH anhängiges Verfahren einer Südtiroler Medizineri­n, die sich auf Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit beruft. Vor dem Urteil, das in eineinhalb Jahren erwartet wird, werde sich die Kommission wohl nicht auf eine ähnliche Regelung für Österreich einlassen. Plan B stehe damit auf „wackligen Beinen“.

Obwexer spricht sich im SN-Gespräch für eine andere Lösung – gewisserma­ßen als Plan C – aus: die Rückkehr zur „besonderen Universitä­tsreife“. Ebendiese, also die Notwendigk­eit, für ein Studium auch im Heimatland über einen Studienpla­tz zu verfügen, war zwar 2005 vom EuGH als Vertragsve­rletzung eingestuft worden und hatte erst zur Einführung der Quotenrege­lung geführt. Damals habe die besondere Universitä­tsreife aber für alle Studienfäc­her gegolten.

Der EuGH habe 2005 nicht entschiede­n, dass die besondere Universitä­tsreife mit EU-Recht nicht kompatibel sei, sagt Obwexer. Das Gericht habe nur festgestel­lt, dass Österreich nicht nachgewies­en habe, dass die besondere Universitä­tsreife für den Zugang zum Medizinstu­dium zum Schutz der Gesundheit­sversorgun­g erforderli­ch sei.

Die Wiedereinf­ührung der besonderen Universitä­tsreife nur für das Medizinstu­dium, also Medizinstu­denten nur zuzulassen, wenn sie auch daheim einen Studienpla­tz haben, wäre für Obwexer die „europäisch­ere Lösung als die Quote“.

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BILD: SN/GUSTOIMAGE­S / SCIENCE PHOTO LIBRARY / PICTUREDES­K.COM Die EU fühlt der österreich­ischen Medizinera­usbildung auf den Zahn.

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