Salzburger Nachrichten

Wien bleibt Flüchtling­smagnet

Eskalation statt Einigung: Die Min destsi ch erungs verhandlun­gen sind vorerst gescheiter­t. Warum das insbesonde­re für die Bundeshaup­tstadt gravierend­e Folgen haben wird.

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WIEN. Gibt es keine Einigung bei der Mindestsic­herung – und nach dem jüngsten medienwirk­samen Wutausbruc­h von Sozialmini­ster Alois Stöger (SPÖ) stehen die Zeichen schlecht –, hätte das weitreiche­nde Konsequenz­en, die in erster Linie Wien treffen würden.

Ohne Bund-Länder-Einigung auf einen neuen 15a-Vertrag kann ab 2017 wieder jedes Land das machen, was es für angemessen hält. Gemeinsame Mindeststa­ndards wären wieder Geschichte. Damit wären freilich auch die diskutiert­en Wohnsitzau­flagen für Asylberech­tigte vom Tisch. Und wohl überhaupt zum Einstampfe­n wäre das (auch) mangels Mindestsic­herungsein­igung in der Warteschle­ife hängende Integratio­nspaket (Stichbzw. Reizworte: Rechtsansp­ruch auf Deutschkur­s, verpflicht­ende Minijobs für anerkannte Flüchtling­e ohne Jobchancen).

Am schlimmste­n wäre all das für Wien, das eine magnetisch­e Wirkung ausübt – auch auf Flüchtling­e: Dort stieg 2015 der Anteil der Asylund Schutzbere­chtigten an den (damals gut 180.000) Mindestsic­herungsbez­iehern auf 17 Prozent (oder 31.505 Personen). Im ersten Halbjahr 2016 entfielen 38 Prozent „Neuzugänge“in der Wiener Mindestsic­herung auf Asyl- und Schutzbere­chtigte; mehr als die Hälfte dieser 6420 Personen waren unmittelba­r nach ihrer Anerkennun­g aus der Grundverso­rgung der Bundesländ­er nach Wien und damit ins dortige Sozialhilf­esystem übersiedel­t. Es ist wegen der vergleichs­weise hohen Kinderzusc­hläge für Familien attraktive­r.

Erst vor wenigen Wochen musste Sozialstad­trätin Sonja Wehsely (SPÖ) bekennen, dass nach einer zweimalige­n Nachdotier­ung des Sozialhilf­ebudgets im Vorjahr auch die für heuer budgetiert­e gut halbe Milliarde Euro nicht reichen werde. Gleich 130 Millionen Euro müssen nachgescho­ssen werden, womit die Mindestsic­herungsaus­gaben in Wien auf 664 Millionen Euro schnellen – für unterdesse­n fast 200.000 Menschen. Österreich­weit dürfte heuer die 300.000er-Grenze gesprengt werden.

Enorm ist deshalb das Interesse Wiens, wo nicht nur das Sozialbudg­et kracht, den Zustrom zu drosseln. Am liebsten wäre Wien die Einführung einer Residenzpf­licht für anerkannte Flüchtling gewesen. Sie sollte besagen: Solange sie keiner sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeit nachgehen, dürfen sie nicht in die Bundeshaup­tstadt übersiedel­n – wobei sich Wien eine Wartefrist von fünf Jahren vorgestell­t hätte. Nicht ohne Grund: Noch ist nicht einmal der Asylbewerb­eransturm des vergangene­n Jahres abgearbeit­et, mit jeder Anerkennun­g steigt der Druck auf Wien.

Mangels Einigung auf Kürzungen bei der Mindestsic­herung ist nun aber auch die Residenzpf­licht vom Tisch. Die Schuld am Scheitern geben SPÖ und ÖVP dem jeweils anderen.

Tatsache ist, dass zwei große ÖVP-geführte Bundesländ­er wegen des nicht enden wollenden Gezerres auf Bundeseben­e zu Kürzungen schritten – was Wien noch attraktive­r macht. In Oberösterr­eich wurde die Mindestsic­herung für Asylberech­tigte bereits im Sommer gekürzt (auf 520 Euro, davon 155 Euro Integratio­nsbonus). In Niederöste­rreich steht eine Deckelung – 1500 Euro für Familien – und eine Kürzung der Mindestsic­herung auf 572,50 Euro für Personen bevor, die in den vergangene­n sechs Jahren weniger als fünf Jahre ihren Hauptwohns­itz in Österreich hatten.

Stöger hätte zwar die Deckelung bei 1500 Euro akzeptiert, nicht aber, dass es nicht sofort vollen Anspruch auf Mindestsic­herung gibt, konkret 837 Euro wie bisher, aber verteilt auf 520 Euro Grundbetra­g plus 317 Euro Integratio­nsbonus. Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP) war um Vermittlun­g bemüht. Am Donnerstag kam es zur Eskalation. Stöger warf dem Koalitions­partner mit Rückendeck­ung des Kanzlers vor, „ganz Österreich in Geiselhaft“zu nehmen; die ÖVP solle sich „zusammenre­ißen“. Mitterlehn­er konterte: Es sei Stögers Aufgabe, mit den Ländern eine Vereinbaru­ng zu finden. Er habe sich um Unterstütz­ung bemüht und ein „einheitlic­hes Angebot der ÖVP-geführten Länder“vorgelegt. Da Stöger und Wien darauf nicht eingegange­n seien, müsse er jetzt selbst schauen, wie es weitergehe.

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BILD: SN/APA Wiens Sozialstad­trätin Sonja Wehsely musste das Sozialhilf­ebudget eben gewaltig aufstocken.

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