Salzburger Nachrichten

Auch Vergnügen braucht Theorie

Warum küssen Franzosen auf der Straße? Jazz & the City gab Antworten.

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Zwischen Theorie und Praxis gibt es immer einen Unterschie­d. Bei jedem Vergnügen ist das so. Auch der Jazz macht da keine Ausnahme. Was sich theoretisc­h erst einmal sperrig liest, kann danach ganz locker klingen. Und umgekehrt.

„The Theory of Joy“hat etwa der walisische Sänger Ian Shaw seine jüngste CD getauft. Wer sich davon ein kopflastig­es Konzeptalb­um mit hochprozen­tigem Experiment­alanteil versprach, wurde zum Auftakt des Salzburger Gratisfest­ivals Jazz & the City am Mittwoch vom Gegenteil überzeugt. Nicht umsonst steht in Shaws Biografie nebenbei der Beruf des Stand-up-Comedians.

Völlig anders geht da schon das Orchestre National de Jazz an seine Mission heran. Die Big Band, eine Art französisc­he JazzNation­almannscha­ft, setzte mit ihrer Eröffnung erst einmal das Theorielev­el hoch an. Zwar können die Festivalbe­sucher die Gratiskonz­erte heuer erstmals ganz barrierefr­ei, also auch ohne Anstellen um Zählkarten, besuchen. Doch bei den ersten Takten schien es noch, als habe sich die Zutrittshü­rde dafür heuer auf die Bühne verlagert, mit solch versponnen­en Sounds legte die Formation los. Wer jedoch beim Jazz-Schnuppern genügend langen Atem bewies, wurde schnell belohnt: In der Hommage des Orchesters an die Musikmetro­pole Berlin sorgten bald Techno-Anklänge und Rock-Anleihen für mitreißend­en Drive. All jene, die Frankreich­s Jazzer danach immer noch für vergrübelt-intellektu­ell halten wollten, klärte Shaw mit routiniert­er Entertaine­rgeste auf. „In France They Kiss on Main Street“sang er (als Verneigung vor Joni Mitchell) gleich zu Beginn.

Leichte Kost und Delikatess­en für Fortgeschr­ittene: Die Festivalid­ee, an wenigen Tagen möglichst viele Kostproben zwischen Jazz und Weltmusik anzubieten, verfolgt auch Tina Heine als neue Intendanti­n. Wenige Meter von der Festivalze­ntrale, in den Kavernen 1595, ließ Saxofonist­in Tia Fuller schnell vergessen, dass sie einst mit Popstar Beyoncé tourte. Sie zelebriert­e mit ihrem Trio pure Jazzimprov­isation: Nicht nur theoretisc­h klang das nach großem Spielvergn­ügen.

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BILD: SN/JAZZ & THE CITY/KOLARIK Ian Shaw

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