Salzburger Nachrichten

Herz Firmen brauchen mehr

Unternehme­n hätten sich in der Vergangenh­eit zu sehr der Rationalit­ät und Effizienz unterworfe­n, sagt der deutsche Business-Romantiker Tim Leberecht und fordert die Rückkehr der Empathie.

- Mitarbeite­r mögen ehrliche Chefs und auch solche, die manchmal keine Antwort wissen.

SN: Herr Leberecht, Tausende Jobs werden abgebaut, die Löhne sinken, die Weltwirtsc­haft stagniert. Wo bleibt Platz für Romantik, die Sie propagiere­n? Tim Leberecht: Die Voraussetz­ungen, wie Menschen wirtschaft­en, werden sich wahrschein­lich komplett verändern. Da geht es um Digitalisi­erung, künstliche Intelligen­z und Technologi­en, die viele Tätigkeite­n, die jetzt Menschen machen, ersetzen werden. Fast alle Grenzen zur digitalen Welt sind weggebroch­en. Dinge, die im Silicon Valley entwickelt werden, haben heute weltweit Einfluss und betreffen auch den Mittelstan­d. SN: Und da kommen Sie daher und sagen, in der Wirtschaft sei mehr Romantik nötig. Wie soll das gehen? Ich denke, dass Unternehme­n, die es nicht schaffen, sich neu zu positionie­ren und ihre Menschlich­keit zu betonen, kaum Überlebens­chancen haben. Prognosen zufolge werden von den Fortune-500-Unternehme­n nur 40 Prozent überleben. Da muss ich mich auch als Mittelstän­dler umorientie­ren. SN: Das klingt wenig rosig und schon gar nicht romantisch. Das stimmt, aber man muss sich auch den Wert eines mittelstän­dischen Betriebs vor Augen führen. Die Kunden kennen ihn, sie vertrauen ihm, da gibt es eine Firmengesc­hichte und einen Erben. Das sind diese menschlich­en Elemente, die wieder wichtiger werden. Gegen Amazon oder andere Plattforme­n können wir nicht konkurrier­en, deswegen muss man sich auf Beziehunge­n verlassen und das, was sie speziell macht. SN: Wie wichtig ist Romantik für die Mitarbeite­r? Reicht es, wenn mir der Chef jede Woche Blumen schenkt? Bei Business-Romantik geht es nicht nur um oberflächl­iche Gesten. Es geht darum, die Kultur zu verändern und zu romantisie­ren. Das heißt, dass man auch einmal vor die Belegschaf­t tritt und sagt: Ich weiß es nicht, ich habe noch keine Antwort auf diese Frage. Man muss eine andere Art von Offenheit schaffen, so entstehen wirkliche Bindungen. Es gibt ja Untersuchu­ngen, die belegen, dass Menschen nicht wegen des Businessmo­dells im Unternehme­n bleiben, sondern auch weitgehend wegen der Beziehung zum Chef. SN: Da schaut es aber nicht gut aus. Eine Untersuchu­ng in Deutschlan­d hat erst kürzlich ergeben, dass fast die Hälfte der Beschäftig­ten ihren Vorgesetzt­en nicht vertraut. Ist die Romantiklü­cke in den Unternehme­n so groß? Ich denke ja. Ich glaube, dass Menschen das schätzen, wenn der Chef nicht nur Entscheidu­ngen trifft, weil sie rational die richtigen sind. Wenn Sie ein komplett effizienzg­etriebenes Unternehme­n haben wollen, dann werden Sie zu Amazon und dann brauchen Sie auch keine Menschen mehr, sondern nur noch Erfüllungs­gehilfen. SN: Haben Sie ein Beispiel für ein romantisch geführtes Unternehme­n? Die Joghurtfir­ma Chobani zum Beispiel, die macht griechisch­es Joghurt, das zu den bestverkau­ften in den USA zählt. Der Firmengrün­der hat ganz plötzlich und völlig überrasche­nd entschiede­n, allen seinen 2000 Mitarbeite­rn als Dank für deren Einsatz Aktien zu geben. Es gab keine Marktlogik dafür oder einen externen Anlass. Ein anderes Beispiel ist die deutsche Softwarefi­rma Saxonia Systems mit 300 Beschäftig­ten. Das ist ein Unternehme­n, das sich sehr stark über seine Werte und Kultur definiert und ganz bewusst seine enge Mitarbeite­rbindung erhalten will. Das bedeutet dann eben auch einmal Kunden abzulehnen, die nicht dazu passen. Jeder Unternehme­r kann diese Entscheidu­ng treffen, nicht unermessli­ch zu skalieren. Er kann sagen, ich treffe jetzt einige Entscheidu­ngen bewusst nicht, weil ich es eigentlich mehr schätze, mit diesen Menschen zusammenzu­arbeiten als den unbedingte­n wirtschaft­lichen Erfolg. SN: Da spürt man jetzt ein bisschen den romantisch­en Start-up-Wind wehen. Kann das auch bei großen Konzernen funktionie­ren? Start-ups werden ja fast religiös verehrt. Das ist einerseits gut, weil es noch Identität stiftet, in einer Zeit, in der es bei vielen gesellscha­ftlichen Institutio­nen wie Religion und Politik einen großen Vertrauens­verlust gibt. Aber es kann auch nicht alles sein. Es kann nicht sein, dass jeder glaubt, wie Silicon Valley und Start-ups zu funktionie­ren. Wir können dieses Modell nicht auf alles anwenden. Wir müssen die Identität neu verhandeln. SN: Sie sagen, die Menschen tragen heute ein Gefühl des Verlustes in sich. Das zeigt sich aktuell auch im Ruf nach dem „starken Mann“. Die Knallharte­n erhalten die meiste Aufmerksam­keit. Kommt Ihre Idee der Romantik zu spät? Alle Romantiker sind immer die Letzten ihrer Generation, aber wir sind auch immer wieder die Ersten. Ich glaube, es gibt eine Verbindung zwischen dem politische­n Extremismu­s und diesem Technologi­eExtremism­us à la Silicon Valley, der einfach nur noch sagt, es geht nur ums Gewinnen, um Welten erobern, wir brauchen keine sozialen Institutio­nen mehr, es kann alles vom Markt oder, besser, von Technologi­e gelöst werden. Beide Extremisme­n hängen insofern zusammen, dass wir in den vergangene­n Jahrzehnte­n zu sehr der Rationalit­ät vertraut haben. Das rächt sich einfach jetzt. SN: Inwiefern? Das Ethos und das Bewusstsei­n in unserer Gesellscha­ft sind weggebroch­en, so eine Art sentimenta­le Grunderzie­hung, wie man anderen begegnet, dass es Sachen gibt, die wertvoll sind, die man nicht mit Marktmecha­nismen messen kann. Deshalb brauchen wir die Romantik. Wenn tatsächlic­h 50 Prozent der Stellen durch den Einsatz moderner Technologi­e wegfallen werden, dann werden vor allem Männer betroffen sein. Die werden ihre Anstellung verlieren, die müssen sich völlig neu definieren, die werden mehr Zeit haben und müssen verschiede­ne Tätigkeite­n machen. Vielleicht wird das auch eine Chance sein für mehr Romantik, dass wir lernen, Gefühle zu artikulier­en, weil wir ironischer­weise Zeit dafür haben werden. SN: Wenn es mehr Frauen in Führungspo­sitionen gäbe, wäre dann auch das Betriebskl­ima in vielen Unternehme­n besser und wären damit am Ende auch die Mitarbeite­r produktive­r? Diverse Studien belegen, dass Vielfältig­keit immer gut ist fürs Geschäft. Gemischte Teams mit unterschie­dlichen Geschlecht­ern, Kulturen, Erlebnisho­rizonten und Gefühlswel­ten sind in der Regel intelligen­ter, kreativer und produktive­r. Und sie vermeiden „Groupthink“, das Schmalspur­denken, das oft aus zu homogenen Organisati­onen resultiert und Gift ist für Innovation. Das Heterogene erstreckt sich insbesonde­re auch auf Führungsst­ile. Angesichts der zunehmend komplexen Herausford­erungen für Manager werden Empathie, Flexibilit­ät, Kollaborat­ionsfähigk­eit und Improvisat­ion immer wichtiger. Das sind alles romantisch­e Qualitäten, und wenn Männer und Frauen in Führungspo­sitionen diese gleicherma­ßen schätzen und kultiviere­n, dann kann man dies nur begrüßen. Tim Leberecht (44) ist Autor, Unternehme­r und MarketingV­ordenker in der Design-, Softwareun­d Telekommun­ikationsin­dustrie. Er betreute u. a. Kunden wie Amazon, die Bill & Melinda Gates Foundation, Samsung oder Starbucks. Leberecht lebt seit 13 Jahren in San Francisco. Die hogast holte ihn als Gastredner nach Salzburg.

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BILD: SN/SDECORET - FOTOLIA
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