Irrweg „direkte Demokratie“
Viktor Hermann kann ich zu seinem Leitartikel (SN, 8. 10.) nur gratulieren. Endlich wird Klartext darüber gesprochen, welch Unfug und auch Unheil Volksabstimmungen mitunter anrichten können. Wie soll auch ein halb- oder desinformiertes, vom Boulevard und von Stammtischparolen manipuliertes „Volk“komplexe EU-Themen oder tausendseitige Vertragstexte beurteilen können? Volksabstimmungen sind vielerorts eine dankbare Spielwiese für „Lügner und Demagogen“, wie es schon der einstige britische Premierminister Attlee so treffend auf den Punkt brachte. Er würde sich viele Jahrzehnte später durch die Brexit-Abstimmung mehr als bestätigt sehen. Ich möchte zu dem Leitartikel noch einige zusätzliche Überlegungen anstellen. So dürfte es keine Volksabstimmung geben, die gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und auch das Prinzip, dass über Grundrechte nicht abgestimmt werden kann, verstößt. Beides ist bei Viktor Orbáns Referendum geschehen. Das Votum der bosnischen Serben für einen nationalistischen Feiertag hat mit voller Absicht das Verfassungsgericht ausgehebelt. In beiden Fällen befragt der nationale Führer „sein“Volk zum Absegnen seiner autoritären Politik. Diese fatale Koppelung „direkte Demokratie“und „starker Mann“trifft, wie Umfragen belegen, auf wachsende Zustimmung, auch in Österreich. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass auch Adolf Hitler seinen Aufstieg populistischen, halbwahren Volksbefragungen gegen die damaligen Reparationszahlungen verdankt. Eine 1930 von einem mächtigen Medienkonzern unterstützte Kampagne machte seine bis dahin bedeutungslose Partei zur bestimmenden Kraft der radikalen Rechten. Was danach geschah, sollte uns Warnung genug sein. Volksabstimmungen polarisieren, heizen eine emotionale Stimmung auf und helfen radikalen Gruppen, die einfache Pseudolösungen anbieten. Ich denke, diese Form einer „direkten Demokratie“sollte auf lokale, überschaubare Fragen beschränkt bleiben. Erhard Sandner,