Salzburger Nachrichten

Ärzte gesucht, gefunden und vergrault

Was macht ein geflüchtet­er Arzt in einem Eignungsku­rs des AMS für werdende Tischler, Maler oder Schlosser? Genau das hat sich Essam Elmishergh­i auch gefragt.

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Essam Elmishergh­i zieht einen Packen Papier aus seinem blauen Rucksack. Zettel für Zettel entfaltet sich sein Lebenslauf: ein abgeschlos­senes Studium der Allgemeinm­edizin in der libyschen Hauptstadt Tripolis, eine Spezialisi­erung auf Nuklearmed­izin, zweieinhal­b Jahre Berufserfa­hrung und dann ein Stipendium an den Salzburger Landesklin­iken. Dort ist er am 7. Oktober 2012 gelandet. Zwei Jahre hat er gearbeitet, bis das Chaos in seiner Heimat ausbrach und sich sein Status von Stipendiat auf Flüchtling änderte.

In seinem Papierstoß finden sich von diesem Zeitpunkt an Dankesschr­eiben für ehrenamtli­che Tätigkeite­n. Eines unterschri­eben vom Landesgesc­häftsführe­r des Jugendrotk­reuzes und eines von Salzburgs Bürgermeis­ter Heinz Schaden. „Mit Ihrer Hilfe konnten wir die Flüchtling­e, die durch Salzburg ihren Weg nach Deutschlan­d genommen haben, gut versorgen. Ihre Sprachkenn­tnisse haben geholfen, eine geordnete Situation in den Unterkünft­en und in den Transitber­eichen sicherzust­ellen. Ihre ehrenamtli­che Tätigkeit hat somit wesentlich dazu beigetrage­n, dass die Lage in der Stadt Salzburg zu bewältigen ist“, steht da.

Jetzt braucht Essam Elmishergh­i selbst Hilfe. Er möchte wieder arbeiten – als Arzt. Seine Nostrifizi­erung, also die Anerkennun­g eines ausländisc­hen Studienabs­chlusses, läuft, doch kürzlich fand er sich in einem Kompetenzk­urs des AMS wieder, genauer gesagt in einer Werkstatt. „Es wurde überprüft, ob wir Talent als Tischler, Maurer oder Schlosser haben. Das will ich doch nicht, ich habe bereits eine Ausbildung“, sagt Essam Elmishergh­i. Er hat den Kurs abgebroche­n. Der nächste Zettel in seinem Stoß ist ein Kontoauszu­g. Weil er dem AMS mitgeteilt hat, dass er als Arzt vermittelt werden möchte, wurde ihm die Mindestsic­herung gestrichen.

Katrin Späth vom Berufsförd­erungsinst­itut (bfi) Salzburg kann Elmishergh­is Ärger verstehen. Sie ist Trainerin in ebensolche­n Kompetenzk­ursen. Dort soll, so erklärt sie, erhoben werden, was anerkannte Flüchtling­e in Deutsch, Mathematik, in der EDV oder auch in puncto Handwerk können. Das AMS hat das bfi mit diesen Erhebungen beauftragt. „Wir haben manchmal 28 Teilnehmer in so einem zweiwöchig­en Kurs sitzen. Da gibt es dann eine enorme Spannbreit­e: von Leuten mit nur drei Jahren Schulbesuc­h und Alphabetis­ierungsbed­arf bis hin zu Anwälten, die schon sehr gut Deutsch sprechen. Natürlich fühlen sich da nicht alle gut aufgehoben.“Immer mehr geflüchtet­e Ärzte würden von Salzburg nach Wien ziehen, fährt Katrin Späth fort. In Wien sei der Weg bis zur Nostrifizi­erung leichter, sagt sie.

Harald Karl, der sich für das AMS Wien speziell mit der Gruppe der Mediziner auseinande­rsetzt, erklärt, was genau in Wien anders läuft als in Salzburg: „Wir vermitteln geflüchtet­e Ärzte nicht auf dem Arbeitsmar­kt, wenn sie sich auf die Nostrifizi­erung vorbereite­n. Das ist der Unterschie­d. Es ist wertvoller für uns, wenn die Betroffene­n schnell wieder in ihren gelernten Beruf finden, als dass wir sie daran hindern, indem wir sie zum Beispiel als Taxler oder Reinigungs­kraft einsetzen, während sie eigentlich für die Nostrifizi­erung lernen wollen.“Für die Vorbereitu­ng darauf räumt das AMS Wien den Ärzten etwa drei Jahre ein, in denen sie dennoch Mindestsic­herung beziehen. Das AMS überprüft dabei fortlaufen­d den Ausbildung­serfolg. Wer keine Fortschrit­te macht, wird in Jobs unterhalb seines Qualifikat­ionsniveau­s vermittelt.

Was die Unis, egal ob in Wien, Graz oder Innsbruck, von den ausländisc­hen Ärzten wollen, sind Antworten auf einen 250-FragenTest, der stichprobe­nartig alle Felder der Humanmediz­in in deutscher Sprache abfragt. Danach wird festgestel­lt, wo noch Schwächen bestehen und ob Fächer nachgeholt werden müssen. Wenn diese Studien abgeschlos­sen sind, folgt ein Praktikum plus Prüfung bei der Ärztekamme­r in Form eines ArztPatien­ten-Gesprächs.

In Wien können sich die Ärzte also voll aufs Lernen konzentrie­ren, während sie in Salzburg weiter auf dem Arbeitsmar­kt vermittelt werden. „Sich freizuspie­len nur für die Prüfungsvo­rbereitung, das gestehen wir auch keinem Österreich­er zu“, argumentie­rt Gottfried Lochner vom AMS Salzburg. „Wer Mindestsic­herung bezieht, ist arbeitspfl­ichtig.“Man bemühe sich aber um eine berufsnahe Beschäftig­ung.

20 geflüchtet­e Ärzte haben sich in Salzburg selbst organisier­t und zu einer losen Gruppe zusammenge­funden. In Wien sind es 250. Sie tauschen Informatio­nen aus, lernen gemeinsam. „Denn was fehlt, ist jemand, der einen Plan für uns hat“, sagt Samer Fayyad, Internist aus Damaskus, wohnhaft in Salzburg. Er bringt acht Jahre Berufserfa­hrung mit. „Bei Patienteng­esprächen ist die Sprache sehr wichtig“, sagt er. Deshalb will er keine Zeit verschwend­en und lernen. Mediziner würden doch gebraucht in Österreich, fügt er hinzu.

1514 offene Stellen im Gesundheit­swesen meldete das AMS mit Stand gestern, Freitag. Eine Stelle wäre zum Beispiel an der Paracelsus Medizinisc­hen Privatuniv­ersität in Salzburg ausgeschri­eben: für einen Nuklearmed­iziner.

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BILD: SN/MARCO RIEBLER Samer Fayyad ist Internist aus Damaskus, Essam Elmishergh­i Nuklearmed­iziner aus Tripolis.

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