Wie eine Bestellung von Welthöchstrichtern
Die geplanten internationalen Schiedsgerichte sind ein zentraler Kritikpunkt von CETA. Ein kanadischer Rechtsprofessor erklärt, warum.
Der kanadische Rechtsprofessor Gus van Harten kritisiert seit Jahren internationale Schiedsgerichte. Der Regierung von Justin Trudeau hat er geraten, den Investorenschutz aus dem Handelsabkommen mit der EU (CETA) zu werfen. SN: CETA könnte möglicherweise noch scheitern. Einer der Kritikpunkte, auch der Wallonen, ist nicht zuletzt der darin enthaltene Investitionsschutz. Wie sieht man das in Kanada? Gus van Harten: Ich kenne verschiedene Geschichten, warum der Investorenschutz überhaupt ins Abkommen gekommen ist. Das war ein radikaler Schritt, weil das bis dahin nur mit Entwicklungsländern, wo es keine verlässliche Rechtsprechung gab, üblich war. Jetzt tun wir so, als gelte das für die Gerichte in allen Ländern. Ich glaube, das gehört nicht in CETA und Fälle werden dafür erfunden. Das war die Entscheidung der früheren konservativen Regierung von Stephen Harper, die der Rohstoffindustrie nahestand, die Schiedsgerichtsklauseln nutzt. Die Regierung von Justin Trudeau hat entschieden, anstatt dieses kontroverse Thema zu streichen, das gesamte Abkommen zu gefährden. Das war ein Riesenfehler. Jetzt könnten sie mit gar keinem Abkommen übrig bleiben. Ich habe ihnen geraten, die Schiedsgerichtsbarkeit zu kippen, aber sie sind meinem Rat nicht gefolgt. Vielleicht tut es ihnen jetzt leid. SN: Wenn man liest, was Sie am Investorenschutz im Kanada-Abkommen auszusetzen haben, klingt es, als sei er schlimmer als die klassischen internationalen Schiedsgerichtsklauseln. Ist es so? Nein. Aus Verfahrenssicht ist das geplante Investitionsgerichtssystem (ICS) eine Verbesserung. Es gibt einige Elemente eines Rechtsverfahrens, die bei der Investor-StaatStreitschlichtung (ISDS) fehlen, aber nicht alle. Aus meiner Sicht erfüllt ICS also nicht die Standards eines Internationalen Gerichtshofs. SN: Was fehlt dazu? Worauf ich seit gut einem Jahr hinweise: Den Mitgliedern des ICS ist es nicht verboten, nebenbei als internationale Streitschlichter zu arbeiten. Meine große Sorge ist, dass die gleichen Leute ernannt werden, die heute in Schiedsverfahren arbeiten, was ein Desaster wäre. Das würde alles kaputt machen. Es gibt völlig geheime ISDS-Fälle – daher weiß niemand, wer als Anwalt mitarbeitet und möglicherweise von einem ausländischen Investor bezahlt wird. Das ist ein großes Schlupfloch. Das zweite Problem ist, dass ein Teil der Bezahlung der ICS-Mitglieder von der Häufigkeit und Länge von Klagsfällen abhängt. Das birgt die Gefahr, dass eine riesige Schiedsgerichtsindustrie entsteht. SN: Ließe sich das nicht leicht korrigieren? Die EU-Kommission hat ihre Gründe, warum sie das gelassen hat. Dazu kommt: Wir wissen nicht, wie der Auswahlprozess der Mitglieder aussieht. Das sollte ein breiter, nachvollziehbarer politischer Prozess sein. Das ist, als würde man Höchstrichter für die Welt bestellen, so groß ist deren Macht. Meine Sorge ist, dass die Handelsbürokraten – in Kanada das Ministry of Global Affairs – das kontrollieren, und die sind sehr nah an der Schiedsgerichtsszene, die der Rolle von Regierungen feindlicher gegenübersteht als allgemein üblich. SN: Aber viele große Fälle wie Philip Morris gegen Australien oder Uruguay haben die Staaten gewonnen. Sind das keine Beweise, dass das System funktioniert? Es geht nicht darum, dass ausländische Investoren immer gewinnen. Der größte Nutzen für sie ist die Klagsmöglichkeit. Das ist ein Hebel, um Regierungsentscheidungen zu beeinflussen. Bei internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation kann man Dinge korrigieren, die vielleicht unklar waren, um Sanktionen zu vermeiden. In Investmentverträgen ist das anders, zugleich gibt es immer Unsicherheit, wie etwas in einigen Jahren interpretiert wird. Das bringt unkalkulierbare Risiken für Regierungen. SN: Und Philip Morris? Das ist, was ich einen „berühmten Fall“nenne, der politisch sensibel ist. Wir können davon ausgehen, dass Streitschlichter sich dessen bewusst sind und wissen, dass solche Entscheidungen das Streitschlichtungssystem als Ganzes betreffen können. Aus der Erfahrung mit NAFTA (das Handelsabkommen zwischen USA, Mexiko und Kanada) wissen wir, dass Fälle eher pro Regierung ausgingen, wenn die USA betroffen waren. Wir haben systematisch Fälle untersucht und eine Tendenz festgestellt, unklare Sachverhalte wie etwa „indirekte Enteignung“, meist bei den USA, für den Staat auszulegen und eher investorenfreundlich bei Kanada und Mexiko. Vielleicht haben aber die USA einfach bessere Anwälte.