Salzburger Nachrichten

Ein Preis für Verlage jenseits der Konzerne

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ANTON THUSWALDNE­R FRANKFURT. Er hat eines der merkwürdig­sten Bücher in diesem Herbst veröffentl­icht, Tomer Gardi, 1974 in einem Kibbuz in Galiläa geboren. Seinen Roman „broken german“(Droschl Verlag) hat er auf Deutsch geschriebe­n, einer Sprache, die er nur mangelhaft beherrscht. Daraus bezieht das Buch seine Stärke. Es ist in einem zerlumpten Deutsch gehalten, was der Wahrnehmun­g der Erzählfigu­r entspricht, die eine verstörend­e Fremdheit in einem geschmirge­lten Deutschlan­d verkörpert.

Als kontaminie­rte Sprache empfindet Gardi das Deutsche nicht mehr. Für seine Generation ist es „die Sprache, die man in Berlin redet und die eine Ausreise nach Deutschlan­d möglich macht. Viele Israelis denken an Ausreise.“

Ist Deutsch für ihn mit Macht verknüpft? „Gewiss. Weil ich die Sprache nicht gut beherrsche, bin ich in einer niedrigen Position. Das Englische ist aber viel mehr mit Macht verbunden, ich denke an Globalisie­rung, Amerika, Hollywood.“Den Gedanken, dass einer in seiner Mutterspra­che, Gardi also auf Hebräisch, schreiben muss, lehnt er ab. „Ich verneine den Gedanken an eine Ursprache, die mir den direkten Weg zu meinen Gefühlen oder in mein Herz weist.“Mit dem früheren Versuch, seinen Roman auf Englisch zu schreiben, ist er gescheiter­t. „Das war nicht interessan­t genug“, sagt der Autor, der am Freitag beim Lesefest zur Frankfurte­r Buchmesse aus „broken german“las.

Einer wie Tomer Gardi macht die zeitgenöss­ische Literatur wieder politisch. Gleichzeit­ig betreiben Verlage groß angelegte Unternehmu­ngen, literaturh­istorische Bestände zu sichten. Das ist eine Form der Aneignung politische­r Vergangenh­eit, um zu erkennen, auf welchem Boden wir eigentlich stehen.

Bei Jung und Jung ist eine Neuedition der Werke Robert Musils in zwölf Bänden angekündig­t. Die ersten beiden sind bereits erschienen, das erste Buch des Romans „Mann ohne Eigenschaf­ten“in der vom Verfasser autorisier­ten Form. Schwer vorstellba­r, dass sich ein geistiges Leben ohne diese Ausgabe führen lässt.

Der Wieser Verlag macht sich um das Werk des kroatische­n Schriftste­llers Miroslav Krleža (1893–1981) verdient, eine der sträflich unterschät­zten Größen der Weltlitera­tur. Jetzt liegt sein Opus magnum vor, der Roman „Die Fahnen“in fünf Bänden, der ausgehend vom Ersten Weltkrieg vom Wirken der Zeitgeschi­chte in die Familien hinein erzählt. Es ist nur gerecht, diesen Autor neben Musil zu stellen.

Am Freitagabe­nd kam es im Frankfurte­r Literaturh­aus zur Verleihung des Preises an einen unabhängig­en Verlag. Dieser Preis soll die Arbeit jener Verlage stärken, die keinen Konzern hinter sich haben und Risiken nicht scheuen. Ausgezeich­net wurde der Arco Verlag aus Wuppertal, der Debora Vogels Band „Die Geometrie des Verzichts“eingereich­t hatte. Auf 600 Seiten ist das Gesamtwerk an Gedichten, Prosa und Lyrik abgedruckt, die Lyrik sogar zweisprach­ig. Bemerkensw­ert ist die Ausgabe schon deshalb, weil an eine Autorin erinnert wird, die zu Lebzeiten in Avantgarde­kreisen verkehrte und als strikte Vertreteri­n einer intellektu­ellen Kunst den Anschluss an die Moderne suchte.

Liest man ihre Arbeiten heute, ist schwer nachvollzi­ehbar, wie solch ein Talent derart in Vergessenh­eit geraten konnte. Dass sie sich dazu entschiede­n hatte, auf Jiddisch zu schreiben, wird ihre Wirkung auf die Nachwelt erheblich erschwert haben. Niemand fühlte sich zuständig für sie. Die im Jahr 1900 in Galizien geborene Autorin wurde 1942 zusammen mit ihrem Mann und ihrem sechsjähri­gen Sohn im Ghetto von Lemberg erschossen.

Dass der Preis an einen Verlag geht, in dem Autoren wie Josef Čapek („Gedichte aus dem KZ“), Vladislav Vančura („Felder und Schlachtfe­lder“) und Henry William Katz („Die Fischmanns“) eine Heimstatt gefunden haben, gehört zu den erfreulich­en Aspekten der Messe, die bis Sonntag geöffnet ist.

Für den Verlag Neue Kritik, ein typisches Kind der Studentenb­ewegung der Sechzigerj­ahre, gehören politische Bücher zur Notwendigk­eit eines bewussten Lebens. Theorie findet man hier ebenso wie die Bücher der polnischen Autorin Hanna Krall, die in Erzählbänd­en wie „Existenzbe­weise“oder „Dem Herrgott zuvorkomme­n“nüchtern und hart aufgezeich­net hat, wie sich der Nationalso­zialismus in Polen ausgewirkt hat. Heute sieht sich die Verlegerin, die sich das Motto „Es ist die Aufgabe eines Verlags, Bücher zu verhindern“zu eigen gemacht hat, auf verlorenem Posten. Sie beobachtet, wie souverän die Jüngeren die Medien bedienen und wie Großverlag­e die Bücherszen­e beherrsche­n. Sie führt Titel in ihrem Programm, die vor Jahrzehnte­n erschienen sind, weil sie ihr so wichtig sind, dass sie nicht dem Saisondenk­en geopfert werden dürfen. Ein Verlag, der sich dem Zeitgeist verweigert. Noch gibt es ihn.

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