Die Kirche im globalen Dorf
3,7 Millionen Österreicher auf Facebook; 425.000 Fans für HeinzChristian Strache, 325.000 für Sebastian Kurz, 95.000 für Christian Kern – und 300.000 Follower für Armin Wolf auf Twitter. Das klingt eindrucksvoll, wenn traditionelle Massenmedien es berichten. Doch sie stellen dabei ihr Licht unter den Social-MediaScheffel, weil sie die Kirche nicht im globalen Dorf lassen.
Gemäß der Selbstvermarktungslogik von Facebook erreicht allein „Der Standard“online zwei Millionen Nutzer. So viele hat der heimische Internet-Marktführer für Zeitungsangebote pro Monat. Facebook registriert monatlich 3,7 Millionen Nutzer. Wöchentliche oder gar tägliche Reichweiten gibt es nicht preis.
Printmedien pflegen diese Transparenz. Um unverdächtig beim Wiener Beispiel zu bleiben: Das digitale Netzwerk des „Standards“verfügt über eine Million Nutzer pro Woche und 345.000 am Tag. Weniger als auf Papier: Es hat 395.000 Tagesreichweite und einen weitesten Leserkreis von 1,2 Millionen. Dieser wird auf Basis einer Woche erfragt. Im Monat wäre er doppelt so hoch.
Auch wenn diese Zahlen aus den unterschiedlichen Marktforschungen Media- und Web-Analyse stammen, relativieren sie die Größe von Facebook, das sich auf seine technisch ermittelten Daten beruft. Überdies unterziehen sich die österreichischen Anbieter trotz ihrer Konkurrenz einer gemeinsamen Untersuchung, während der US-Konzern nur hauseigene Auswertungen präsentiert.
Den Social-Media-Stars der Politik ist das Missverhältnis aus veröffentlichter Darstellung und öffentlicher Wirkung durchaus bewusst. Sie nutzen zwar von YouTube bis Instagram viele neue Kanäle, doch streben sie vor allem nach Auftritten in herkömmlichen Massenmedien. Denn klassische Papierprodukte und lineares Patschenkino genießen viel mehr Vertrauen als digitale Echoräume.
Also eifern Kern und Kurz um Auslandseinsätze in FAZ, „Bild“, „Spiegel“und ARD, duellieren sich Kanzler und Vize über Gastkommentare im „profil“und zählt vor allem das Standhalten gegenüber Wolf in der „ZIB 2“. Facebook wie Twitter dienen dann nur als Turbo solcher Vorkommnisse in postfaktischen Zeiten. Dieser von Angela Merkel geadelte Begriff stammt übrigens von Ralph Keyes’ Buch „The Post-Truth Era“. Es erschien 2004, im Startjahr von Facebook. Peter Plaikner