Sind genug“
Favoriten gesucht: Henrik Kristoffersen nimmt das Duell mit Marcel Hirscher gern auf.
SÖLDEN. Genau 3040 Meter über dem Meer beginnt am Sonntag der Herren-Weltcup – und dünn ist nicht nur die Luft auf dem Rettenbachferner, dünn sind auch die Favoriten gesät. Aksel Lund Svindal kommt nach seinem Sturz in Kitzbühel erst im November in Lake Louise retour und will sich vorerst auf die Speedrennen konzentrieren. Ted Ligety feiert ein Comeback nach Kreuzbandriss, doch weiß er selbst nicht, wo er steht. Das gilt im übertragenen Sinne auch für Bode Miller, der im Streit um eine Freigabe von Head ganz schlechte Karten hat, seit er mit Klage droht. Der Franzose Alexis Pinturault gilt zwar in Trainerkreisen als Supertechniker, doch für den Sprung nach ganz vorn hat es noch nicht gereicht.
Und der Titelverteidiger? Marcel Hirscher sieht sich – wie üblich – vor dem Start als Außenseiter, auch wenn das jüngste Training im Schnalstal „gute Aufschlüsse“gebracht hat, wie er gestern verriet.
So bleibt nur ein Mann, der sich selbst die Favoritenrolle aufbürdet: Henrik Kristoffersen. Der 22-jährige Norweger fordert Hirscher auch gleich heraus: „Fünf Kugeln für Marcel sind genug.“
Auf den ersten Blick könnte Kristoffersen fast als Hirscher-Kopie durchgehen. Beide sind nicht allzu groß gewachsen, beide haben in kleineren Skigebieten Ski fahren gelernt, beide sind von ihren Vätern Ferdinand bzw. Lars von Beginn an gecoacht worden, beide sind außergewöhnlich konstante Fahrer, die sich so gut wie nie Ausfälle leisten. Kristoffersen hat das Skifahren auf dem heimatlichen Marikollen gelernt, einem Hügel bei Lørenskog, auf dem eine Sprungschanze und ein Lift stehen. „Zu diesem Lift hatten mein Vater und mein Großvater, der Chef des örtlichen Skiclubs war, einen Schlüssel“, sagt Kristoffersen. „Das war der Beginn. Supertalent war ich nie, bei mir ist immer alles mit harter Arbeit gegangen.“Auch die harte Arbeit ist eine Parallele zu Hirscher und was Rossignol-Rennsport-Chef Angelo Maina über Kristoffersen sagt („Es ist einfach und schwierig mit ihm zugleich, weil er alles dem Erfolg unterordnet“) könnte fast wortgleich aus dem Mund von Hirschers Rennsportchef Christian Höflehner (Atomic) stammen.
Dass der kleine Henrik im Nachwuchs meist gegen ältere und größere Konkurrenten fahren musste, habe ihn geprägt, sagt Vater Lars. „Er ist wie ein Killer.“Auch das Programm der beiden wird erstaunlich ähnlich sein. Beide setzen auf Riesentorlauf und Slalom und werden bei Gelegenheit den einen oder anderen Super G und die Kombination mitnehmen. Abfahrt? „Sicher nicht“, sagt Kristoffersen kopfschüttelnd, „das tu ich mir nicht an. Ich finde ja schon den Hang in Sölden extrem steil.“
Und noch ein Detail fällt auf: Beide sind von schweren Knieverletzungen bisher verschont geblieben. Ist das Glück? „Ich glaube nicht an Glück, ich glaube an harte Arbeit. Aber andererseits: Aksel Lund Svindal ist voll austrainiert und hat sich schwer verletzt. Vielleicht braucht man doch Glück in diesem Sport.“