Salzburger Nachrichten

Der Luxus vom Nichtstun kann trügen

Ein von der Alltagsrou­tine Angewidert­er sucht das, was er „Daseinslee­re“nennt. Doch er findet anderes.

- Das Irrenhaus, Roman, 192 Seiten, Haymon Verlag, Innsbruck 2016.

Der Wohlstands­mensch erachtet das Nichtstun als den größten anzunehmen­den Luxus. Nichtstun ist ja angeblich das Gegenteil von lästigen Pflichten und fader Routine. Wie herrlich wäre es, nichts zu arbeiten! Kein geregelter Tag! Keine blöden Kollegen! Nichts müssen! Und gar: Nichtstun, und das immer.

Diesen Wunsch stellt Michael Krüger konsequent auf die Probe. Da er selbst seine Berufspfli­chten in dem von ihm in den Erfolg geführten Hanser-Verlag hinter sich gelassen hat, macht er sich zum Widerpart seines früheren Verlegeral­ltags: zum Romanautor. Als dieser versetzt er seinen Protagonis­ten in eine für unselbstst­ändig Erwerbstät­ige höchst erstrebens­wert erscheinen­de Lage. Eine entfernte Tante vererbt dem Ich-Erzähler, ein bis dahin glückloser Zeitungsar­chivar, ein 16-ParteienMi­etshaus in der Münchner Innenstadt. Da kündigt der seine Arbeit, bezieht im vierten Stock seines nun eigenen Hauses eine frei gewordene Sechs-Zimmer-Wohnung und lässt diese – trotz reichliche­r Einkünfte – so leer, wie der Vormieter, ein gewisser Georg Faust, sie hinterlass­en hat. Wände streichen, Möbel besorgen oder nur das Türschild erneuern? All dies würde dem Ansinnen freveln, das Nichtstun radikal auszukoste­n! Als er gefragt wird, wer er sei und was er tue, sagt er: freier Philosoph.

Derart zum Denken befreit, lässt er das Leben auf sich zukommen. Aber wer und was da ungefragt daherkommt! Die Nachbarin im selben Stock, eine Lehrerin für Griechisch und Latein, wäre ja für einen Sibelius hörenden freien Philosophe­n noch passable Gesprächsp­artnerin. Doch bald wird sie gefährlich heiratslus­tig. Auch ein extrem aufdringli­cher Anlagebera­ter und ein gescheiter­ter Komponist, der penetrant Investoren sucht, um Friedhöfe für Wohnbau zu nutzen, entsetzen diesen Ich-Erzähler, der sich ja solcher schofelige­r Gefilde des spießigen Geldverdie­nenmüssens entheben will, um die „fundamenta­le Daseinslee­re“zu finden.

Die Mitbewohne­r sind offenbar auch ihrem Schöpfer Michael Krüger ein Gräuel. Denn der gibt seinem Roman den Titel „Irrenhaus“und macht sich mit so feinsinnig­em wie gnadenlose­n Sarkasmus über seine Figuren her, dass deren Widerlichk­eiten immer wieder ins Witzige kippen.

Dann kommt Post. Der Ich-Erzähler öffnet ungeniert die Briefe seines Vormieters. Georg Faust ist oder war Schriftste­ller. Ist er tot? Warum ist er verschwund­en?

Dieses Irrenhaus wird erträglich, ja sogar recht lustig, weil Michael Krüger davon stringent und vergnüglic­h erzählt. Am Ende nimmt sein sonderbar asketische­r Held Reißaus aus seinem Versuch, den er mit der Ansage begonnen hat: „Zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich mich mit Hingabe langweilen. (. . .) Ein Leergelass­ensein von der Welt, das wollte ich erreichen.“

Die Leere hat er verfehlt, aber den Traum von einem Restaurant in Syrakus, Erkenntnis­se wie „Nur dem Leidenden zeigt sich in hellen Sekunden die Schönheit“und eine hinreißend­e Stifter-Lektüre hat er gefunden. Doch muss er auch Dummheit, Gier und Rücksichts­losigkeit ertragen, die am Ort seiner Sehnsucht sichtlich wuchern. Michael Krüger:

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HEDWIG KAINBERGER

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