Der Luxus vom Nichtstun kann trügen
Ein von der Alltagsroutine Angewiderter sucht das, was er „Daseinsleere“nennt. Doch er findet anderes.
Der Wohlstandsmensch erachtet das Nichtstun als den größten anzunehmenden Luxus. Nichtstun ist ja angeblich das Gegenteil von lästigen Pflichten und fader Routine. Wie herrlich wäre es, nichts zu arbeiten! Kein geregelter Tag! Keine blöden Kollegen! Nichts müssen! Und gar: Nichtstun, und das immer.
Diesen Wunsch stellt Michael Krüger konsequent auf die Probe. Da er selbst seine Berufspflichten in dem von ihm in den Erfolg geführten Hanser-Verlag hinter sich gelassen hat, macht er sich zum Widerpart seines früheren Verlegeralltags: zum Romanautor. Als dieser versetzt er seinen Protagonisten in eine für unselbstständig Erwerbstätige höchst erstrebenswert erscheinende Lage. Eine entfernte Tante vererbt dem Ich-Erzähler, ein bis dahin glückloser Zeitungsarchivar, ein 16-ParteienMietshaus in der Münchner Innenstadt. Da kündigt der seine Arbeit, bezieht im vierten Stock seines nun eigenen Hauses eine frei gewordene Sechs-Zimmer-Wohnung und lässt diese – trotz reichlicher Einkünfte – so leer, wie der Vormieter, ein gewisser Georg Faust, sie hinterlassen hat. Wände streichen, Möbel besorgen oder nur das Türschild erneuern? All dies würde dem Ansinnen freveln, das Nichtstun radikal auszukosten! Als er gefragt wird, wer er sei und was er tue, sagt er: freier Philosoph.
Derart zum Denken befreit, lässt er das Leben auf sich zukommen. Aber wer und was da ungefragt daherkommt! Die Nachbarin im selben Stock, eine Lehrerin für Griechisch und Latein, wäre ja für einen Sibelius hörenden freien Philosophen noch passable Gesprächspartnerin. Doch bald wird sie gefährlich heiratslustig. Auch ein extrem aufdringlicher Anlageberater und ein gescheiterter Komponist, der penetrant Investoren sucht, um Friedhöfe für Wohnbau zu nutzen, entsetzen diesen Ich-Erzähler, der sich ja solcher schofeliger Gefilde des spießigen Geldverdienenmüssens entheben will, um die „fundamentale Daseinsleere“zu finden.
Die Mitbewohner sind offenbar auch ihrem Schöpfer Michael Krüger ein Gräuel. Denn der gibt seinem Roman den Titel „Irrenhaus“und macht sich mit so feinsinnigem wie gnadenlosen Sarkasmus über seine Figuren her, dass deren Widerlichkeiten immer wieder ins Witzige kippen.
Dann kommt Post. Der Ich-Erzähler öffnet ungeniert die Briefe seines Vormieters. Georg Faust ist oder war Schriftsteller. Ist er tot? Warum ist er verschwunden?
Dieses Irrenhaus wird erträglich, ja sogar recht lustig, weil Michael Krüger davon stringent und vergnüglich erzählt. Am Ende nimmt sein sonderbar asketischer Held Reißaus aus seinem Versuch, den er mit der Ansage begonnen hat: „Zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich mich mit Hingabe langweilen. (. . .) Ein Leergelassensein von der Welt, das wollte ich erreichen.“
Die Leere hat er verfehlt, aber den Traum von einem Restaurant in Syrakus, Erkenntnisse wie „Nur dem Leidenden zeigt sich in hellen Sekunden die Schönheit“und eine hinreißende Stifter-Lektüre hat er gefunden. Doch muss er auch Dummheit, Gier und Rücksichtslosigkeit ertragen, die am Ort seiner Sehnsucht sichtlich wuchern. Michael Krüger: