Salzburger Nachrichten

Warum Kurz nach Moskau flog

Österreich­s Außenminis­ter führt 2017 den Vorsitz in der OSZE. Das ist eine gute Gelegenhei­t, eigene Akzente in der Russland-Politik zu setzen.

- Sebastian Kurz will als OSZE-Vorsitzend­er 2017 Schwerpunk­te setzen.

SN: Sie treten für eine schrittwei­se Rücknahme der Sanktionen gegen Russland ein. Wie könnte so etwa ablaufen? Sebastian Kurz: Aus meiner Sicht ist es entscheide­nd, dass Russland nicht den Eindruck hat, die EU wäre zufrieden mit dem derzeit so angespannt­en Verhältnis. Moskau muss wissen, dass es ein ernsthafte­s Interesse nicht nur an einer Lösung des Konflikts in der Ostukraine gibt, sondern auch an einem positiven Miteinande­r zwischen EU und Russland. Dazu braucht es eine neue Dynamik. Wir sollten wegkommen von den Sanktionen als Modell der Bestrafung hin zu einem Modell des Ansporns. Daher halte ich eine schrittwei­se Lockerung im Gegenzug für jede Verbesseru­ng vor Ort für ein Signal, das vielleicht diese neue Dynamik auslösen könnte. SN: Was müsste Russland tun, um der EU einen ersten Schritt zu ermögliche­n? Das Wichtigste ist eine Verbesseru­ng der Lage in der Ostukraine. SN: Also ein Waffenstil­lstand, der auch hält. Genau. Denn es muss uns ja darum gehen, die Lebensbedi­ngungen der betroffene­n Menschen zu verbessern. Drei Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 2,5 Millionen sind in alle Himmelsric­htungen geflüchtet. SN: Wäre eine auch schrittwei­se Aufhebung der Sanktionen nicht eine Belohnung für aggressive­s Verhalten? Es bleibt ja Tatsache, dass von Russland gestützte Separatist­en und Russland selbst Teile der Ukraine besetzt halten. Ja, die Schuldfrag­e ist geklärt. Sie liegt bei Russland. Aber das reicht nicht aus. Wir dürfen nicht in einer Sackgasse enden. SN: Es ist also zu akzeptiere­n, dass Kiew die Ostukraine aufgeben muss? Nein, darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, schrittwei­se weg vom Status quo zu kommen. Ein echter Waffenstil­lstand etwa ist erst Voraussetz­ung für freie und faire Wahlen in der Ostukraine. SN: Sehen Sie nicht die Gefahr, von Moskau über den Tisch gezogen zu werden? Einmal gelockerte Sanktionen sind nur schwierig wieder zu verschärfe­n. Einen Konflikt wieder hochzufahr­en ist dagegen sehr leicht. Natürlich gibt es genug Gründe, warum es kein Vertrauen zwischen den Konfliktpa­rteien mehr gibt. Beide Seiten können das glaubwürdi­g erklären und auch begründen. Das Problem ist nur, dass dieses Blockdenke­n, das zwischen West und Ost wieder entstanden ist, zu keiner Entspannun­g in der Ostukraine führen wird. Ich sehe es daher als unsere Aufgabe, stets neue Anläufe zu unternehme­n, zumal wir immer ein Brückenkop­f zwischen Ost und West waren. Dass das schwierig ist, weiß ich. Aber Frieden kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. SN: Was verstehen Sie unter Blockdenke­n? Dass es mittlerwei­le nichts Außergewöh­nliches ist, wenn Politiker des Westens sagen, für alles Schlechte der Welt ist Russland verantwort­lich, und umgekehrt. SN: Allerdings war es ja Russland, das die Krim annektiert und den Konflikt in der Ostukraine gestartet hat. Das ist richtig. Wie gesagt: Schuldfrag­e ist geklärt, aber Status quo führt zu nichts. Die der SN: Da ist es wenig erstaunlic­h, wenn vor allem die ehemaligen Ostblocklä­nder etwas allergisch reagieren. Ich habe auch nicht gesagt, dass dieses Blockdenke­n nicht nachvollzi­ehbar ist. Es bringt uns einzig und allein nicht weiter. Natürlich braucht es eine Verhaltens­änderung in Russland, um den Konflikt in der Ostukraine, aber auch in Syrien lösen zu können. Die Frage ist nur: Wie erreicht man die? Ich bin überzeugt, am ehesten dann, wenn wir glaubwürdi­g darin sind, dass wir ein positives Miteinande­r zusammenbr­ingen wollen. Dass wir Staaten wie die Ukraine oder Weißrussla­nd nicht in eine entweder EUoder Russland-Position drängen. SN: Ein ganzer Chor, von Donald Trump über Frank-Walter Steinmeier bis hin zu Ihnen erklärt, wir müssen uns Russland wieder zuwenden. Dabei scheint es eher, als hätte sich Russland von uns abgewendet. Ich habe vorhin schon gesagt, die Verantwort­ungen in diesem Konflikt sind sehr einfach zu klären. Aber ich denke nicht, dass das ohne Dialog und Aufeinande­r -Zugehen möglich ist. Wir sollten während unseres OSZE-Vorsitzes versuchen, vielleicht in kleinen Schritten Fortschrit­te zu ermögliche­n. SN: Ein zweiter Schwerpunk­t Ihres Vorsitzes sind Terrorbekä­mpfung und Deradikali­sierung. Was ist darunter zu verstehen? Früher hat man, wenn es um Sicherheit ging, vor allem die Vermeidung von militärisc­hen Zusammenst­ößen im Auge gehabt. Heute müssen wir auch gegen Radikalisi­erung und Terror ankämpfen. Wir haben rund 10.000 Menschen aus dem OSZERaum, die sich auf den Weg zum IS nach Syrien und in den Irak gemacht haben, und noch viel mehr, die sympathisi­eren. Die OSZE kann kann beitragen, dass dieses Thema in vielen Staaten nicht mehr verschwieg­en wird. SN: Sicherheit hat viel mit Sicherheit­sempfinden und sicheren Grenzen zu tun. Der maltesisch­e EU-Vorsitz hat vorgeschla­gen, mit den nordafrika­nischen Staaten ähnliche Rückführun­gsabkommen wie mit der Türkei zu schließen. Was halten Sie davon? In der Praxis muss man festhalten, dass die Rückstellu­ng von Flüchtling­en in die Türkei nicht funktionie­rt. Der Hauptgrund, warum der Zustrom abgerissen ist, war die Schließung der Westbalkan­route. Das bedeutet, wir in Europa haben es selbst in der Hand. Wenn wir Menschen einfach weiterwink­en, machen sich mehr und mehr auf den Weg. SN: Der Zustrom hat nun über die zweite Route, nämlich über das Mittelmeer nach Italien, massiv zugenommen. Das ist vollkommen logisch, denn da wird nach wie vor die falsche Politik verfolgt. Nach der Schließung der Westbalkan­route ist mir prophezeit worden, dass sich die Menschen in Griechenla­nd stapeln wer- den. In Wahrheit ist die Zahl derer, die aufgebroch­en sind, um mehr als 80 Prozent gesunken. Auf der Mittelmeer­route ist es immer noch möglich, in Richtung Mitteleuro­pa weiterzuzi­ehen.

Was sollten die Italiener mit europäisch­er Hilfe tun? Wer illegal einreisen will, muss an der EU-Außengrenz­e gestoppt, eine Rückstellu­ng vorbereite­t werden. Es muss klar sein: Wer sich illegal auf den Weg macht, wird nicht durchkomme­n. Damit stellen wir sicher, dass kaum noch Menschen losziehen werden, wir entziehen den Schleppern die Geschäftsg­rundlage, wir beenden die Überforder­ung in Mitteleuro­pa, und das Wichtigste: Wir beenden das Sterben im Mittelmeer. SN: Wenn man die Leute aufhalten und rückführen will, braucht es Rückführun­gsabkommen, die es nicht gibt. Wenn Menschen zurückgehe­n, geschieht dies großteils freiwillig und nicht durch Zwang. Diese freiwillig­e Rückkehr wird etwa von Lesbos und Lampedusa wesentlich leichter stattfinde­n, als wenn jemand einmal eine Wohnung in Wien oder Berlin bezogen hat. 2015 haben diejenigen, die für offene Grenzen eingetrete­n sind, den Unterschie­d zwischen dem Recht auf Schutz und dem Wunsch nach besserem Leben verschwimm­en lassen. SN: Zuletzt hat der liberale EU-Politiker Guy Verhofstad­t wieder eine Europäisch­e Verteidigu­ngsunion gefordert. Auch das hat mit sicheren Grenzen zu tun. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag? Ich halte eine Stärkung der gemeinsame­n Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik für absolut wünschensw­ert, im Bereich des Grenzschut­zes für notwendig. Wir dürfen Italien und Griechenla­nd nicht alleinlass­en. Wenn wir das nicht gemeinsam organisier­en, wird mittelfris­tig ein Europa ohne Grenzen nach innen Geschichte sein.

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BILD: SN/APA/BMEIA/DRAGAN TATIC SN:
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Das Interview mit Sebastian Kurz führte SN-Außenpolit­ikchef Martin Stricker während des Fluges nach Moskau.

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