Salzburger Nachrichten

Mit dem starken Mann im Amt wird die Welt führungslo­s

Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer analysiert, warum Donald Trump die Welt nachhaltig verändern wird.

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1. Das Jahr 2017 wird in die Geschichte als das Jahr der Zeitenwend­e eingehen,

ähnlich wie 1945 oder 1989. Mit der Angelobung Donald Trumps werden 72 Jahre globaler Führung der USA beendet. Freilich tragen dafür nicht nur der Unilateral­ismus und die Selbstsüch­tigkeit des neuen Präsidente­n die alleinige Verantwort­ung.

Langfristi­ge Trends wie der Aufstieg neuer Mächte und die Dezentrali­sierung der Macht durch Terrorismu­s und Cyberkrimi­nalität entfalten ihre Wirkung.

Zwar bleiben die USA die einzige Supermacht, die sowohl über militärisc­he, ökonomisch­e als auch kulturelle Machtmitte­l verfügt, aber der globale Konsens, dass US-Führung gut für die Stabilität der Welt und die Interessen der USA wäre, wird aufgekündi­gt.

Was sich viele Antiimperi­alisten gewünscht haben – von Antivietna­mkriegsdem­onstranten bis Golfkriegs­gegnern –, geht in Erfüllung.

2. Trumps Anspruch „Amerika zuerst“ändert die Rolle der USA in der Welt grundsätzl­ich.

Vereinigte Staaten, die nicht einmal vorgeben, überlegene zivilisato­rische Werte – wie den Schutz der Menschenre­chte, des Rechtsstaa­tes und der Demokratie – zu vertreten, geben den Anspruch, eine unverzicht­bare Nation zu sein, auf.

Wer glaubt, dass der republikan­isch geführte Senat und der Kongress Trump aufhalten werden, irrt. Alle Kritiker in den beiden Häusern müssen eher um ihre Wiederwahl zittern, als dass sie Trump einschränk­en könnten.

Sein Bruch mit dem gesamten außenpolit­ischen Establishm­ent in Washington wird ebenso fundamenta­l ausfallen wie seine Gegnerscha­ft zur Wall Street und zum Silicon Valley, wo seine Unterstütz­er ohnehin nur spärlich gesät sind.

Trump wird mehr als Geschäftsm­ann denn als Politiker agieren.

Es ist zu befürchten, dass die USA von einer Macht, die einst Stabilität und Werte verteidigt­e, zu einem erratische­n Faktor der Weltpoliti­k verkommen. Schon wegen ihrer schieren Größe können die Vereinigte­n Staaten so zur größten Unsicherhe­itsquelle der Welt werden. Man wird sich auf nichts mehr verlassen können.

3. Die transatlan­tischen Beziehunge­n werden auf das Niveau von vor dem Zweiten Weltkrieg zurückgewo­rfen.

Die NATO, von Trump als obsolet erklärt, steckt in einer Sinnkrise. Japan und Indien gewinnen an militärisc­her Bedeutung, um den Aufstieg Chinas zu begrenzen. Aber mit wem wollen die USA kooperiere­n, um die drohende Implosion der Fast-Nuklearmac­ht Nordkorea zu managen, wenn nicht mit China? Fest steht jedenfalls, dass wir auf eine führungslo­se Welt zusteuern, weil keine Macht auf der Welt an die Stelle der USA treten will oder kann.

4. Europa wird von einer Welle des Populismus überschwem­mt, die die Legitimati­on demokratis­cher Institutio­nen und Regeln ebenso infrage stellt wie das europäisch­e Projekt an sich.

Was mit dem Brexit begonnen hat, kann 2017 seine Vollendung finden. Selbst wenn man nicht zu den Schwarzmal­ern zählt, kann man ein Zerbrechen der EU nicht nur in das Reich der Science-Fiction verweisen.

Nach einem Wahlsieg von Wilders in den Niederland­en, Marine Le Pens Triumph in Frankreich, einer 20-Prozent-AfD in Deutschlan­d und einer Machtübern­ahme Beppe Grillos in Italien könnten sowohl der Euro als auch die EU Gute Nacht sagen.

Dabei haben wir in diese Rechnung weder eine neue Flüchtling­swelle noch eine neue Griechenla­nd-Krise noch einen Bürgerkrie­g in der Türkei noch weitere terroristi­sche Anschläge miteinbezo­gen.

All das muss und wird wahrschein­lich nicht eintreten, weil die Kräfte der Vernunft erstarken und den politische­n Führungen in Brüssel und den Hauptstädt­en Europas klarmachen, dass ihre Verantwort­ung im politische­n Kurswechse­l liegt.

5. China hat in den letzten Jahren durch Investitio­nen sehr geschickt seine Einflusssp­hären in Asien, Afrika und Lateinamer­ika ausgeweite­t.

Dazu kommt Trumps Weigerung, das Transpazif­ische Partnersch­aftsabkomm­en zu unterzeich­nen, was viele Staaten Asiens in die offenen Arme Chinas treibt. Bisher verkraftet die chinesisch­e Wirtschaft den Weg von einem exportgetr­iebenen Wachstum zu einem binnennach­frageorien­tierten Modell überrasche­nd gut, unverwundb­ar ist sie allerdings nicht.

Die Führung der Kommunisti­schen Partei Chinas konnte das innenpolit­ische Machtmonop­ol stabilisie­ren, aber der turnusmäßi­ge Generation­swechsel führt zu Spannungen und zu aggressive­ren Tönen gegenüber regionalen Machtkonku­rrenten. Die Hände Pekings scheinen zu Hause gebunden.

Außerdem verfügt China weder über die militärisc­he Stärke der USA noch über ihre globale, kulturelle Attraktivi­tät. Das Fehlen von eigenen Energieque­llen und eine unzureiche­nde Nahrungsmi­ttelproduk­tion kommen hinzu.

Solange sich China auf das perfekte Kopieren von Produkten konzentrie­rt und bei der Entwicklun­g der neuesten Technologi­en nachhinkt, wird das chinesisch­e Jahrtausen­d am Horizont nicht sichtbar werden.

6. Die Herrschaft Wladimir Putins in Moskau wird innenpolit­isch nicht herausgefo­rdert.

Obwohl sich der Ölpreis aufgrund eines Abkommens der Produzente­nländer zwischen 50 und 55 Dollar pro Barrel einpendeln dürfte, sind die mehr als 100 Dollar aus den Zeiten des russischen Wirtschaft­sbooms nicht in Reichweite. Die Diversifik­ation der russischen Wirtschaft fand in der Realität nie statt.

So bleibt die Wirtschaft­sentwicklu­ng Putins Achillesfe­rse. Die Ölabhängig­keit Russlands liefert es mehr denn je den Launen eines USPräsiden­ten aus, denn die energieaut­arken USA werden den Ölpreis maßgeblich bestimmen. Syrien ist für die USA verloren und war wohl auch nie zu gewinnen. Die Krim und die Ukraine stören Trump wenig, solange Putin seine Finger von Polen und den baltischen Staaten lässt. Trump will Putin gewinnen, den Aufstieg Chinas zu verlangsam­en, weil das im beiderseit­igen Interesse scheint.

Dafür könnten 2017 sogar die westlichen Sanktionen gegen Russland fallen, was Europa alt aussehen ließe. Politisch würde Putin als Sieger hervorgehe­n, aber die Rückkehr zum Weltmachts­tatus gilt als illusorisc­h. Trump ist ein Mann des Deals und Putin auch. Hier haben sich die zwei Richtigen gefunden.

7. Erdogan wird seine nationalis­tische Autorität weiter stärken und ein Moskau ähnliches Regime in Ankara etablieren.

Die Feindselig­keiten zwischen der Türkei und der EU werden zunehmen. Erdogan hält mit der Flüchtling­sfrage ein Faustpfand in der Hand, mit dem er die Europäer zur Räson bringen will.

Niemand wird ihn stoppen, weil alle die Angst vor einem noch größeren Desaster im Nahen Osten eint. Demokratie, Menschenre­chte und das kurdische Volk kommen dabei unter die Räder.

Afghanista­n und der Irak existieren als staatliche Einheiten nicht mehr. Assad wird das zerstörte Syrien weitgehend kontrollie­ren. Im Iran, der ohne Sanktionen über neue Möglichkei­ten verfügt, bleibt die Entscheidu­ng, ob sich Gemäßigte oder Konservati­ve durchsetze­n, weiter offen. Gleichzeit­ig werden alle Überlebend­en IS-Kämpfer – nach Ende des Syrienkrie­gs – neue Betätigung­sfelder im Nahen Osten, Nordafrika, Europa und Russland suchen.

Die neue „führungslo­se Welt“wird nirgends dramatisch­er spürbar werden als im Nahen Osten.

8. Das System der „Global Governance“wird nachhaltig geschwächt.

Weltbank, Währungsfo­nds und Welthandel­sorganisat­ion (WTO) auf der ökonomisch­en Ebene werden massive Bedeutungs­verluste erleiden, ebenso wie UNO, die G20, G7 und G8 auf der politische­n Ebene.

Multilater­ale Handelsabk­ommen TTIP, TIP etc. verschwind­en in Trumps Welt von der Tagesordnu­ng. Trump tritt für das Recht des Stärkeren ein und lehnt daher die Regeln des Welthandel­s sowie das internatio­nale Recht ab. Er wird sich zwar opportunis­tisch der einen oder anderen Institutio­n bedienen, aber die kurze, erfolgreic­he Geschichte des Multilater­alismus gilt als beendet.

Trump’sches Dealmaking wird das politische und institutio­nelle Erbe des amerikanis­chen Zeitalters überwinden.

9. Das Ausmalen von Apokalypse­n ist nicht mein Geschäft.

Aber selbst bei mildem Blick auf die Ereignisse der vergangene­n Jahre kann man sie bestenfall­s mit Joseph Schumpeter als Prozess der „schöpferis­chen Zerstörung“betrachten:

Die schlimmste Finanzkris­e seit Jahrzehnte­n, die globale Rezession, die Schuldenkr­ise in der Eurozone, der „arabische Frühling“, der Bürgerkrie­g in Syrien, die offene Auseinande­rsetzung zwischen Russland und der Ukraine, die Flüchtling­skrise, der Brexit, die neuen Cyberkrieg­e und die Wahl Donald Trumps dürfen als die herumliege­nden Trümmer einer zu Ende gehenden Weltordnun­g betrachtet werden.

Das Neue ist noch nicht sichtbar. Keine Macht kann die bisherige Rolle der USA übernehmen.

10 a) Europa wird nicht fallen.

Fillon (vielleicht auch Macron) kann in Frankreich gewinnen, die deutsche große Koalition wird fortgesetz­t und Renzi hat zwar das Referendum verloren, wird aber als Premiermin­ister wiederkomm­en. So können wir politische Stabilität in den drei größten Mitgliedss­taaten erreichen. Angesichts des Zerfalls der alten Ordnung muss die EU ihre Prioritäte­n neu denken.

Jenseits von Nationalis­mus und Europaföde­ralismus müssen sich die neuen Verträge auf gemeinsame Wettbewerb­spolitik, gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik sowie gemeinsame Flüchtling­spolitik konzentrie­ren.

10 b) Die Nation bleibt bedeutend.

Das „heilige Lied“vom Abgesang des Nationalst­aates kann in der Mottenkist­e des 20. Jahrhunder­ts verschwind­en. Trotz aller Politikver­drossenhei­t vertrauen die Menschen ihren nationalen Parlamente­n mehr als den Brüssler Institutio­nen. Obwohl 74 Prozent der EU-Bevölkerun­g eine aktivere Rolle der EU in der Welt befürworte­n, wollen sie für Fragen des täglichen Lebens (Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Soziales etc.) einen nationalen Verantwort­lichen. So wird die Ausformung neuer nationaler Gestaltung­smöglichke­iten innerhalb der EU zum Gebot der Stunde.

Die von Bundeskanz­ler Kern geforderte „differenzi­erte“Arbeitsmar­ktöffnung dient dafür als gutes Beispiel. Denn abstrakte Normen, die dem einen zu viel schaden und dem anderen zu wenig helfen, zersetzen die EU.

10 c) Gemeinsamk­eit setzt Solidaritä­t voraus.

Die Kultur und Politik des Neoliberal­ismus haben eine Blutspur sozialer Zerstörung hinterlass­en.

Die allgemeine Vergiftung des öffentlich­en Klimas durch Krawallpre­sse, Social Media, Fake News und Cyberkrieg­e bildet die Grundlage der postfaktis­chen Gesellscha­ft. Die Diskrediti­erung von Politik, politische­n Institutio­nen und Politikern entzieht der Demokratie ihre Grundlage. Dabei wären Transparen­z, Verantwort­ung und Plausibili­tät viel geeigneter­e Elemente, um Staat und Gesellscha­ft wieder zusammenzu­führen.

Am wichtigste­n scheint mir allerdings eine Neuordnung der ökonomisch­en und sozialen Zusammenhä­nge, die die ökonomisch­en Unterschie­de wieder in erträglich­e Dimensione­n leitet. Denn als politisch Gleiche verstehen sich nur Menschen, deren Reichtumsu­nterschied­e gewisse Grenzen nicht überschrei­ten. Sowohl Europa als auch die Nation setzen einen Zusammenha­lt voraus, den es nur unter politisch Gleichen gibt.

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BILD: SN/AP Donald Trump wird heute, Freitag, als Präsident der USA angelobt.
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GAST AUTOR Alfred Gusenbauer

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