Salzburger Nachrichten

Eingekesse­lt in der Todeswüste

Der IS steht vor der Eroberung von Deir ez-Zor, der größten Stadt im Osten Syriens. Viele der Kämpfer kamen aus Mossul, wo die Terrormili­z weiter an Boden verliert.

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Die Geschichte von Deir ez-Zor ist eng verknüpft mit Leid, Tod und Vernichtun­g. Im Ersten Weltkrieg endeten in der Stadt am Euphrat die Todesmärsc­he der Armenier. Wer sie überlebt hatte, wurde von den Osmanen in Konzentrat­ionslager gesperrt, in denen Zehntausen­de Menschen elendig zugrunde gingen. Fast genau hundert Jahre später steht Deir ez-Zor vor einer weiteren Tragödie. Dieses Mal ist es die Terrormili­z „Islamische­r Staat“, die rund 120.000 Menschen und etwa 3000 Soldaten der syrischen Armee von der Außenwelt abgeschnit­ten hat und seit dem vergangene­n Wochenende den Belagerung­sring um die Großstadt immer enger zieht.

Zu Beginn der Woche gelang es der Terrormili­z, die Versorgung­sstraße zwischen dem Militär- und Zivilflugh­afen, der noch von AssadTrupp­en beherrscht wird, und der Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch die strategisc­h wichtige Erhöhung Dschebel Tharda, von wo aus der Flughafen überblickt werden kann, wird von Dschihadis­ten beherrscht, seitdem amerikanis­che Kampfflugz­euge dort im September vergangene­n Jahres fast hundert Soldaten des Regimes von Baschar al-Assad töteten. Die Luftangrif­fe seien versehentl­ich erfolgt, sagten die Amerikaner. Russen und Syrer unterstell­ten der US-Armee vorsätzlic­hes Handeln. Michael Wrase berichtet für die SN aus dem Nahen Osten

Solange die Tharda-Berge noch von Regierungs­truppen beherrscht wurden, war der Flughafen von Deir ez-Zor einigermaß­en funktionsf­ähig. Nun ist er vollständi­g blockiert. Die dort stationier­ten Kampfflugz­euge und Hubschraub­er können nicht mehr abheben, ohne von den Kämpfern des IS beschossen zu werden. Massive Luftangrif­fe der syrischen und russischen Luftwaffe konnten den Vormarsch des IS inzwischen zwar verlangsam­en, aber nicht stoppen. Nach Erkenntnis­sen des Fernsehsen­ders Al-Dschasira hat die Terrormili­z ihre Offensive in Deir ez-Zor über Wochen hinweg vorbereite­t. Aus der nordirakis­chen Stadt Mossul seien Tausende Kämpfer nach Syrien abgezogen worden, nachdem die irakische Armee mit ihren Verbündete­n ihre Offensive gegen den IS gestartet hatte.

Arabische Militärexp­erten gehen davon aus, dass Mossul in den nächsten zwei Monaten fallen wird. Als Rückzugsge­biet habe der IS den Osten Syriens mit Rakka, Palmyra und Deir ez-Zor auserkoren. Die Wüstenregi­on lasse sich besser verteidige­n und eigne sich als Ausgangsba­sis für neue Vorstöße in Richtung Damaskus sowie der Ölund Gasfelder östlich von Homs.

Die äußerst prekäre Lage der Bewohner und Armee-Einheiten von Deir ez-Zor wird in den syrischen Staatsmedi­en sowie auf regimenahe­n Nachrichte­nportalen nicht verschwieg­en. Sollte es der syrischen und russischen Luftwaffe nicht bald gelingen, den Vormarsch des IS aufzuhalte­n und die eingekesse­lten Regionen aus der Luft zu versorgen, sei der Fall von Deir ezZor unabwendba­r, heißt es.

Die noch verbleiben­den Verteidige­r der Garnisonen müssten dann damit rechnen, vom IS im Rahmen einer grausamen Inszenieru­ng massakrier­t zu werden. Auf Twitter erinnern syrische Nutzer in diesem Zusammenha­ng an das „SpeicherMa­ssaker“. Es ereignete sich im Juni 2014 am Rande von Saddam Husseins Heimatstad­t Tikrit, wo der IS mit unbeschrei­blicher Brutalität 1700 schiitisch­e Rekruten niedermetz­elte. Dass die eingekesse­lten Soldaten keine Gnade zu erwarten haben, geht aus der Propaganda des IS hervor. Zur zusätzlich­en Motivation hat die Führung der Terrormili­z den Teilnehmer­n der Schlacht um Deir ez-Zor „ein Haus und eine Frau“versproche­n.

Der syrische Bürgerkrie­g wütet seit 2011, begonnen hatte er mit regierungs­kritischen Protesten. Mittlerwei­le sind Dutzende Länder in den Konflikt involviert.

Wie am Freitag bekannt wurde, hat der IS in der Oasenstadt Palmyra erneut historisch bedeutsame Bauten zerstört. Betroffen ist diesmal das römische Amphitheat­er, bei dem es sich teilweise um einen modernen Nachbau handelt. In dem Theater hatte Russland ein Sinfonieor­chester auftreten lassen, nachdem die syrische Armee im Frühling des vergangene­n Jahres mit russischer Hilfe den IS aus Palmyra vertrieben hatte. Im Dezember eroberte der IS die Stadt zurück.

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BILD: SN/GRAPHICNEW­S Der IS verliert an Boden, setzt sich aber hartnäckig zur Wehr.
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