„Der Weg der kleinen Schritte“
Warum Finanzminister Hans Jörg Schelling in seinem „Pakt für Österreich“Realismus dem großen Wurf vorzieht.
SN: Herr Finanzminister, Sie wollen ab 2021 einen Budgetüberschuss schaffen. Der letzte Finanzminister, der das zumindest auf dem Papier geschafft hat, war Karl-Heinz Grasser. Den Bürgerinnen und Bürgern brachte das nichts. Wie wollen Sie das Thema den Menschen verkaufen? Schelling: 3,8 Milliarden Euro einzusparen ist machbar. Ich bin bereit, ein Drittel davon sofort wieder zu investieren. Kaum redet jemand vom Einsparen, heißt es Sparpaket. Die Leute haben Angst, dass etwas gestrichen wird. Wir haben aber genug Möglichkeiten, Effizienz zu steigern, ohne beim Bürger zu sparen. 80 Prozent der Bevölkerung sagen, es soll gespart und Schulden sollen abgebaut werden.
SN: Warum sollen nach Jahrzehnten des Scheiterns Verwaltungsreformen und Entbürokratisierung gelingen? Bund, Länder und Gemeinden haben einfach kein Geld mehr, daher müssen die Mittel effizienter eingesetzt werden. Man hatte früher das Ziel zu hoch angesetzt. Ich will nicht den großen Wurf in der Bundesverfassung, sondern die Dinge tun, die sich realisieren lassen. Wir müssen mit kleinen Schritten beginnen, weil der große Wurf nicht gelingen wird.
SN: Haben Sie für diese kleinen Dinge Beispiele? Ein simples Beispiel. Es gibt den elektronischen Verkehr mit den Behörden, aber keine elektronischen Formulare. Das ist kein Zustand in Zeiten von 4.0. Jetzt wollen wir alle Formulare bis 2018 auf vollelektronisch umstellen. Das ist nicht so einfach, weil alle Ministerien betroffen sind. Wenn Sie in Zukunft ihren Wohnsitz verändern, dann haben Sie einen elektronischen Meldezettel, und wir melden das automatisch an andere Stellen wie etwa Kfz-Behörde oder Finanzamt. Ein weiteres Beispiel: Wir investieren rund 250 Millionen Euro in Deutschkurse, das ist notwendig. Aber dass dafür vier Ministerien zuständig sind, macht mich sehr nachdenklich.
SN: Wie schnell kann Deregulierung geschehen? Alle wollen die Deregulierung, aber das dauert, weil sie auf allen Ebenen passieren muss. Wir werden hier künftig bei der Wohnbauförderung und der gemeinsamen Haushaltsrechnung die Standards vereinheitlichen, auch bei der Pflege wird es einen österreichweiten Standard geben. Wenn es diese Standards gibt, dann kann man die Dinge auch vergleichend und effizient abwickeln. Wir können nicht drei Jahre damit brauchen, bis ein Gesetz funktioniert, sondern wir müssen dort beginnen, wo es massiv belastet, zum Beispiel, dass im Erstfall eines Vergehens nicht bestraft wird.
SN: Sie reden hier davon, dass Betriebe bei Verwaltungsvergehen oft empfindlich bestraft werden? Im Verwaltungsstrafverfahren wird wegen kleinster Vergehen in erschütterndem Umfang gestraft. Wir haben im Finanzbereich gesagt, bei leichter Fahrlässigkeit strafen wir beim ersten Mal nicht. Wenn es mehrfach vorkommt, dann soll auch gestraft werden.
SN: Sie haben bei diesen Straferlässen das Arbeitsinspektorat als Beispiel angeführt. Dafür sind Sie gar nicht zuständig. Wir haben auch im Finanzministerium ein paar Projekte: Zum Beispiel das Pilotprojekt Horizontal Monitoring mit 15 österreichischen Betrieben. Da begleiten wir die Betriebe und prüfen sie nicht. Eine Firma sagt, wir möchten investieren und das Projekt so und so abschreiben, dann sitzt der Großbetriebsprüfer mit dem Unternehmen zusammen und geht den Fall durch. Der Prüfer sagt dann, das geht okay oder auch nicht. Da gibt es Rechtssicherheit. Das Gleiche passiert beim Thema Forschungsprämie. Da gibt es Rechtssicherheit, ohne im Nachhinein zu prüfen und vielleicht sogar zu strafen. Wir glauben, dass wir bei voller Umsetzung auf 1000 Betriebe kommen können.
SN: Sie haben erneut die Abschaffung der kalten Progression, also der schleichenden Steuererhöhung, angekündigt. Das würde den Arbeitnehmern 400 Mill. Euro Entlastung bringen. Woran scheitert es? Wir haben ein konkretes Modell mit einem Ansammeln der Inflation vorgestellt. Wir sammeln die Inflation bis fünf Prozent, wenn der Wert erreicht ist, werden die Tarifstufen an diesen Wert angepasst. Das entlastet alle Steuerstufen. Die SPÖ will nur die unteren Einkommen entlasten, aber gleichzeitig nicht alle Transferleistungen, die in den unteren Einkommensklassen ankommen, mitrechnen. Das geht nicht. Diese Umverteilung wird es mit mir nicht geben. Wir werden diskutieren müssen, wie wir da weitertun. Für jeden Finanzminister ist es leichter, im Jahr 400 Millionen Euro zu verkraften als auf einen Schlag fünf Milliarden.
SN: Auch Sie wollen den unteren Einkommen mit geringeren Sozialabgaben entgegenkommen. Wenn Menschen mit weniger Einkommen weniger Sozialversicherung zahlen, muss dann der Mittelstand wieder die fehlenden Mittel drauflegen? Nein. Wenn Sie jemanden geringfügig beschäftigen, und der überschreitet mit 20 Euro die Geringfügigkeitsgrenze, zahlt er die volle Sozialversicherung, aber keine Steuer. Wenn wir mehr Leute in einen höheren Beschäftigungsumfang bekommen, dann haben diese bei meinem Vorschlag bis 700 Euro Einkommen nur den halben Versicherungssatz. Die Sozialversicherung würde dadurch zusätzliche Einnahmen von Menschen bekommen, die derzeit in der Geringfügigkeit sind. Da werden mehr Beiträge geleistet, die jetzt nicht geleistet werden. Gerade bei Frauen wäre es wichtig, wenn sie einen eigenen Pensionsanspruch erwerben.
SN: Sie wollen auch das Frauenpensionsalter früher als beschlossen an jenes der Männer angleichen und haben dabei von Gerechtigkeit gesprochen. Beim Thema Gerechtigkeit fällt Frauen ganz anderes ein, etwa die Gehaltsschere, die ungleiche Verteilung der guten Jobs und ähnliches. Man nimmt den Frauen die besten Erwerbsjahre weg. Die Jahre fehlen den Frauen. Wir müssen begleitende Maßnahmen setzen, damit es Arbeitsplätze für ältere Menschen gibt. Aber wenn sie alte Systeme mit einem Kündigungsschutz für alle über 50 haben, dann wird keiner mehr einen 50-Jährigen einstellen.
SN: Wie wollen Sie beim Stiftungsrecht 2,1 Milliarden für die Gründerszene freischaufeln? Wir haben erstmals ein Gemeinnützigkeitstiftungsrecht, damit Menschen, die in Stiftungen Geld haben, steuerfrei Kultur, Wissenschaft und Forschung unterstützen können. Aber wir haben bei Privatstiftungen das Problem, dass man nicht in Risiko investiert. Meine Idee ist, dass man einen geringen Anteil des Geldes, etwa zwei bis drei Prozent davon, für Start-up- oder Mittelstandsfinanzierungen freischaufeln kann. Das würde einen großen Schub für Wirtschaft und Arbeitsplätze bedeuten. Wir brauchen kreative neue Lösungen.