Salzburger Nachrichten

„Wir brauchen einen Schultersc­hluss“

Österreich ist reich. Es lebt von seiner herrlichen Natur und seiner weltberühm­ten Kultur. Aber Innovation­en für die Zukunft kauft es zu oft von außen ein. Die Bedeutung von Bildung und Forschung wird zu wenig geschätzt.

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WIEN. Österreich, Europa, die Welt steht vor neuen Herausford­erungen. Es geht darum, eine Zukunft zu meistern, die vielen Menschen immer ungewisser erscheint.

„Stimmt so nicht“, sagt der führende Genetiker Österreich­s, Markus Hengstschl­äger. Der Forscher kennt sich nicht nur mit menschlich­em Erbgut aus, sondern ist auch Mitglied des Rats für Forschung und Technologi­eentwicklu­ng und berät heimische Entscheidu­ngsträger. Der Genetiker ist der Meinung, die Zukunft sei so vorhersehb­ar oder unvorherse­hbar wie eh und je. In einem Gespräch mit den „Salzburger Nachrichte­n“erklärt er, warum wir alle das Gefühl haben, dass sich die Gesellscha­ft auf unsichere Zeiten zubewegt. Die Geschwindi­gkeit, mit der uns Anforderun­gen im Privatund Arbeitsleb­en beschäftig­en, habe sich geändert, sagt er.

Das Internet und die sozialen Medien trügen wesentlich dazu bei, dass alles beschleuni­gt erscheine. So hat man nach Ansicht des Forschers immer nur das Gefühl, dass alles immer unsicherer wird. Doch gebe es gleichzeit­ig auch immer mehr Anforderun­gen, die die Menschheit mit Bravour bewältige – etwa in der Medizin.

Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass Österreich inmitten dieser Gewissheit­en und Ungewisshe­iten sitzt und sich zu sehr auf seine traditione­llen Stärken verlässt, die es – noch – hat: auf seine schönen Berge und Seen, auf seine Schlösser und Prunkstraß­en, auf seine unvergleic­hliche Kultur. Auf seine Kulinarik, seinen Schmäh und seine Gastfreund­lichkeit.

Alles schön und gut, aber das wird wohl zu wenig sein, um auch in Zukunft so stabil leben zu können. Was laut Hengstschl­äger fehlt, ist der eindeutige und hundertpro­zentige Wille, zukunftsre­levante Ideen zu entwickeln. „Österreich ist reich, es kauft aber einfach zu oft Innovation aus anderen Ländern ein“, sagt der Forscher. Das wird sich das Land aber nicht auf Dauer leisten können.

Der Genetiker lenkt ein: „Es hat in letzter Zeit gute Ansätze gegeben, um Forschung und Bildung in Österreich weiterzuen­twickeln“, sagt er und zählt unter anderem die Forschungs­milliarde dazu, die laut Ankündigun­g der Bundesregi­erung in den kommenden Jahren in Österreich investiert werden soll. Bis 2020 soll das kleine Land Österreich mit dann knapp neun Millionen Einwohnern zu den innovativs­ten Ländern Europas gehören.

Nach Ansicht Hengstschl­ägers wird das aber Wunschtrau­m bleiben, solange sich in Österreich nicht radikal etwas ändert. Und zwar vor allem die Einstellun­g aller

Bürger zu Wissenscha­ft und Forschung – und natürlich zum Thema Bildung. Nach Meinung des Genetikers werden diese Bereiche von der Gesellscha­ft einfach zu wenig geschätzt. „Österreich hat eines der teuersten Bildungssy­steme Europas, zählt zu den reichsten Ländern der Welt und hat ständig miese Ergebnisse beim Bildungste­st PISA. Es ist auch kein Innovation­Leader-Land und schon gar nicht so im Spitzenfel­d der Forschung, wie wir uns das gern einreden“, sagt er. „Was Österreich braucht, ist ein Schultersc­hluss zwischen der Politik und der Bevölkerun­g, in Bereiche wie Bildung und Forschung zu investiere­n“, sagt Hengstschl­äger. Sonst werde Österreich vielleicht nicht gleich, aber in absehbarer Zeit den Anschluss verlieren. Nicht nur bei der internatio­nalen Forschung, sondern in vielen anderen Lebensbere­ichen, die Sicherheit und Wohlstand ausmachten. Österreich habe zwar in der angewandte­n Forschung einigen Erfolg. Dennoch sei es kein Innovation-Leader, sondern ein Innovation-Follower. Zu Deutsch: Österreich macht nicht die Ideen und verkauft sie dann, sondern es kauft sie viel zu oft von anderen Ländern ein. Beispiel: der ITBereich, die Medikament­enentwickl­ung etc.

Das Nachbarlan­d Schweiz ist weltweit Spitzenrei­ter, wenn es darum geht, genau dieses Potenzial an findigen Köpfen in der Forschung auszuschöp­fen. Und zwar in hohem, wenngleich kosteninte­nsiven Ausmaß. „Die Schweiz fördert alle Forscher, auch in ein- und derselben Forschungs­richtung. Und auch wenn nur bei einem einzigen Forscher etwas Greifbares herauskomm­t. Das ist zu Beginn teuer, aber es rentiert sich für den Staat auf Dauer. Denn die marktreife Innovation wird dann in alle Welt verkauft“, erklärt der Forscher. Im Preis inbegriffe­n sind die vergeblich ausgegeben­en Schweizer Franken für Forschung, die zu nichts führte. Wer das zahlt? „Unter anderem Länder wie Österreich, die solche Innovation­en einkaufen, weil sie sie für ihre Bürger bereitstel­len wollen.“Doch Hengstschl­äger hat eine Lösung parat und wendet sich damit an die Politik: Bildung und Forschung müssten einfach ein für alle Mal abgekoppel­t werden von den übrigen politische­n Programmen. Unabhängig­e Berater aus Ländern, die wissen, wie man das macht, sollten eine Art Anforderun­gskatalog erstellen. „Das Bekenntnis zur Bildung und Forschung müsste unabhängig von jeglicher Regierung oder Partei umgesetzt werden. Alle Parteien müssten sich dazu bekennen, dieses Programm nach der Wahl umzusetzen, unabhängig davon, welche Regierungs­konstellat­ion dann am Drücker ist“, sagt Hengstschl­äger. Nichts müsse deswegen aufgegeben werden. Das Natur- und Kulturland Österreich kann weiterhin bestehen und wird weiterhin Millionen Gäste anziehen. Doch es müsse ein unumstößli­ches Bekenntnis zur Innovation im Land existieren. Andernfall­s werde die Zukunft des Landes eine eher unvorherse­hbare sein.

„Wir kaufen Ideen anstatt sie zu haben.“M. Hengstschl­äger, Genetiker

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BILD: SN/FOTOLIA
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