Der Klassiker im neuen Kleid
Kulturstadt Athen. Aus den antiken Wurzeln der Stadt sprießen neue, teils ungewöhnliche Blüten – ein griechischer Spaziergang zwischen Museen und Oper.
Der Stadtteil Kalithea trug bisher seinen Namen zu Unrecht. Flach, zwischen Akropolis-Hügel und dem Possidonos-Boulevard, war von „guter Aussicht“, was Kali Thea nämlich bedeutet, keine Rede. Doch nun hat Renzo Pianos markantes Kulturzentrum für die Stavros Niarchos Foundation das geändert und sorgt für beste Aussichten. Am südlichen Ende des Syngrou-Boulevards, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Symbol eines neuen, selbstbewussten Athens großzügig angelegt worden war, erhebt sich mittlerweile das Kulturzentrum als unübersehbarer Keil aus der Landschaft, auf dem sich zwischen Olivenbäumen zu Ausblicken emporwandern lässt: auf Imittos-Gebirge, Piräus und von oben schließlich weit über den Sarronischen Golf, nach Ägina, Hydra, den Peloponnes. Wer hier mit klopfendem Herzen steht, tut dies übrigens direkt über der Bühne der neuen Athener Oper. Nigel Wollheim, Opernaficionado und Consultant für Luxusmarken aus London, verbringt die Wintermonate in Athen, weil er hier täglich ins Theater gehen kann. Er vergleicht die „Ethniki Liriki Skini“gar mit dem Opernhaus in Sydney. „Dort hat die spektakuläre Architektur dazu geführt, dass sich Superstars zu Engagements überreden ließen. Auch die Athener Staatsoper wird in die Champions League aufsteigen!“
Eine Hoffnung, die auch Gabriella Triantafyllis vom Stavros Niarchos Foundation Cultural Center hegt. „Wir selbst sind schon seit dem Sommer aktiv, veranstalten Konzerte im Park, bieten Kurse und Lesungen in der Bibliothek an.“Das Interesse sei beeindruckend. Der Skulpturengarten und die Galerie am Dach sind bereits geöffnet, sobald das Café aufsperren wird, hat Athen wohl um einen wichtigen Szenetreffpunkt mehr. Konstatiert nicht zuletzt der „Condé Nast Traveler“.
Für den Besucher ist dies keine Überraschung. Wer nämlich der Küste den Rücken zukehrt, vor dem baut sich eine Kulisse von historischer Dimension auf: Auf ihren Dutzenden Hügeln erstreckt sich die dicht bebaute Stadt nach vier Jahrtausenden Siedlungstätigkeit. Da und dort hat der Respekt vor historischen Fakten noch grüne Schneisen geschlagen, mittendrin thront die Akropolis auf ihrem Felsen, steinerner Orientierungspunkt nicht nur Athens, sondern auch unserer westlich-demokratischen Kultur. Das schwarze Gebäude des Akropolismuseums – direkt unter den weißen Marmorblöcken der Burgmauer – bildet das andere Ende der neuen Museumsachse entlang des Syngrou-Boulevards. Zu dem 2010 eröffneten STEGI, vulgo Onassis Cultural Center, hat sich neuerdings auch ein Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst gesellt, das EMST.
Dieses Ethniko Moyseio Sychronis Technis, das heuer endlich in der einstigen FixBierbrauerei eine Heimat gefunden hat, punktet mit einer Reihe von Veranstaltungen, etwa einer Performance der Athener Oper auf der weitläufigen Dachterrasse. Leichtes Spiel für Direktorin Katerina Koskina, Besucher an die außergewöhnliche Spielstätte zu locken, zumal an lauen Sommerabenden. Beste Voraussetzungen auch für die Documenta, die in ihrer 14. Auflage erstmals neben Kassel unter dem Titel „Learning from Athens“eine zweite Stadt bespielen und im EMST gastieren wird.
Kunst als Stadtplaner: Das letzte Jahrzehnt hat die Textur der Stadt merklich verändert. Der einst als heruntergekommen verrufene Bezirk Kerameikos zählt nunmehr zu den angesagtesten Vierteln der Stadt. Aus Ateliers und Art-Spaces sind Bars, Lokale und Theater geworden, es ist hip und in hierherzukommen. Was übrigens nicht nur für Kerameikos gilt, die ganze Stadt zieht Kreative und Künstler aus aller Welt an. „Learning from Athens“kann man vielleicht auch als Angebot oder Auftrag ans krisengeschüttelte Europa verstehen. Und als Vorschlag, wie in der Krise Chancen zu finden sind und Neues sprießen kann.