Dem Tod den Schrecken nehmen
Für viele Menschen ist das Seniorenheim das letzte Zuhause – bis zum Tod. Ein Projekt im Seniorenwohnhaus Nonntal bricht mit dem Tabuthema Sterben.
„Es ist gut, wenn alle im Heim wissen, was im Fall zu tun ist.“Christof Eisl, Hospizbewegung
Neben einer Engelsfigur liegt im Aufenthaltsraum des Pflegepersonals im städtischen Seniorenwohnhaus Nonntal ein dickes Buch. Jeder verstorbene Heimbewohner bekommt darin seinen Platz – 23 Menschen wurden im vergangenen Jahr mit Angaben zur Person und der Parte verewigt. „Für uns Mitarbeiter ist das Buch eine schöne Erinnerung, schließlich entwickeln wir zu den Bewohnern eine Beziehung“, sagt die Fachsozialbetreuerin Eva Ceska. Es sei „wunderbar“, dass im ganzen Haus offen mit dem Thema Sterben umgegangen werde.
Davon zeugt auch ein fahrbarer Tisch, der mit einer Kerze, Blumen und einem Marienbild geschmückt ist. Stirbt ein Bewohner, wird der Tisch mit einem Foto vor der Zimmertür aufgestellt. Die Angehörigen, Mitbewohner und das Personal können im pietätvoll gestalteten Zimmer Abschied nehmen.
Das „Totenkammerl“im Keller gehöre der Vergangenheit an, betont der Leiter des Seniorenwohnhauses, Christian Kagerer. Früher seien dort verstorbene Bewohner bis zum Eintreffen der Bestattung aufgebahrt worden. „Heute fährt die Bestattung für alle sichtbar durchs Haus.“Unpersönlich und ein bisschen gruselig habe sie diesen Raum stets empfunden, sagt Ceska. Es sei nicht möglich gewesen, sich in Würde zu verabschieden.
Der Tod dürfe in einem Seniorenwohnhaus nicht ausgesperrt werden, meint Kagerer. Vielmehr müsse man dem Thema die Schwere nehmen und mit den Bewohnern rechtzeitig offen über ihre Wünsche für die letzte Lebensphase sprechen. In Nonntal beginnt der Palliativgedanke bereits beim Einzug der Bewohner und nicht erst dann, wenn es ans Sterben geht. „Am Ende des Lebens versiegt oft die verbale Kommunikation.“
Das Seniorenwohnhaus Nonntal hat in Salzburg eine Vorreiterrolle übernommen. Seit 2012 wird das Pilotprojekt „Hospizkultur und Palliative Care im Pflegeheim“erprobt und immer weiter ausgebaut. Die Erfahrungen sind derart positiv, dass das Projekt nun auf alle städtischen Seniorenwohnhäuser ausgedehnt werden soll. Nach der Evaluierung im Frühjahr wird es in den anderen Häusern präsentiert.
„Palliative Care“sei ein Kern-
„Das Totenkammerl gibt es bei uns nicht mehr.“Christian Kagerer, Heimleiter
prozess im Haus, der ständig weiterentwickelt und überprüft werde, betont Kagerer. „Das sichert Qualität und Nachhaltigkeit.“Eine Säule ist die Schulung des Personals. So wurden in Nonntal alle 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von der Reinigung über die Küche und die Verwaltung bis zur Pflege, viereinhalb Tage lang von einer Mitarbeiterin der Hospizbewegung Salzburg geschult. „Wir möchten den Bewohnern die Sicherheit vermitteln, dass alle im Haus wissen, was im Fall zu tun ist“, erklärt Kagerer.
Die Sensibilität der Mitarbeiter für das Thema sei stark gestiegen, erklärt Pflegedienstleiterin Heidi Hager. „Der Schrecken vor dem Tod ist in den Hintergrund gerückt, es ist normal geworden, darüber zu reden.“
Kagerer und sein Team haben die Erfahrung gemacht, dass die meisten alten Menschen über ihren letzten Lebensabschnitt sprechen wollen und ein großes Bedürfnis nach Selbstbestimmung haben. Das bedingt aber, dass die Mitarbeiter über diese Bedürfnisse Bescheid wissen.
Hier kommt die zweite Säule ins Spiel, der Vorsorgedialog. Er wird schriftlich festgehalten und dient dazu, rechtzeitig mit dem Bewohner und auf Wunsch auch mit den Angehörigen ins Gespräch zu kommen, um abzuklären, was den Seniorinnen und Senioren wichtig ist, wenn das Sterben naht. Man fördere das bewusste Hinschauen auf die letzte Lebensphase, sagt Kagerer. Nicht alle Fragen müssten bei einem Termin besprochen werden. „Das ist ein Prozess, der länger dauern kann.“
Zur Unterstützung gibt es einen Gesprächsleitfaden. Zur Sprache kommen etwa spirituelle und religiöse Themen, die gewünschte Art des Begräbnisses, aber auch medizinische Fragen, etwa jene, ob der Bewohner im Fall durch eine Sonde ernährt werden möchte oder mit dem Ziel der Lebensverlängerung in ein Krankenhaus gebracht werden will. Letztlich soll der Vorsorgedialog die Selbstbestimmung der Bewohner stärken. Zugleich unterstützt er Pflegende und Ärzte bei ethisch schwierigen Entscheidungen am Lebensende.
Die Wünsche für die letzte Lebensphase seien sehr unterschiedlich, sagt Kagerer. „Einige wollen eine spezielle Musik hören, andere möchten offene Themen in ihrem Leben klären. Auf Wunsch vermittle das Personal Gespräche oder organisiere einen Seelsorger.
Wann der richtige Zeitpunkt für den Vorsorgedialog ist, bestimmen die Bewohner selbst. Hilfreich sei dabei das im Seniorenwohnhaus Nonntal praktizierte System der Dualpflege, sagt Kagerer. Jeder Bewohner hat aus dem Team des Pflegepersonals eine fixe Bezugsperson. Sie ist auch der Ansprechpartner für die Angehörigen. Durch die enge Beziehung entstünden in dem Gespräch oft ganz besondere Momente.
Die Bewohner und Verwandten wissen den offenen Umgang zu schätzen. Der Tod sei für sie kein Tabuthema, sagt etwa die 92-jährige Maria Winkler, die seit sechs Jahren im Seniorenwohnhaus lebt. „Mir geht es gesundheitlich zwar sehr gut, aber wenn es einmal so weit ist, nehme ich das Schicksal so, wie es kommt, mir ist jeder Tag recht.“Ihr Alter sieht man der Seniorin nicht an, jeden Tag unternimmt sie im Park einen Spaziergang. Sie sei glücklich mit ihrem Leben. „Das größte Geschenk ist, dass ich 53 Jahre verheiratet war, vor acht Jahren ist mein Mann gestorben.“
Zufrieden mit den Ergebnissen des Projektes ist auch Christof Eisl, der Geschäftsführer der Hospizbewegung in Salzburg. „Wenn alle im Heim Bescheid wissen, wie man in dieser Situation umgeht, führt das mit Sicherheit auch dazu, dass die Zahl unnötiger Einweisungen ins Krankenhaus sinkt.“
Im Seniorenwohnhaus Nonntal ist das Projekt Teil des Alltags geworden. Als Nächstes werden sich Kagerer und seine Mitarbeiter dem Thema widmen, wie man am besten mit Schmerzen der Bewohner umgeht.