Salzburger Nachrichten

Dem Tod den Schrecken nehmen

Für viele Menschen ist das Seniorenhe­im das letzte Zuhause – bis zum Tod. Ein Projekt im Seniorenwo­hnhaus Nonntal bricht mit dem Tabuthema Sterben.

- BARBARA HAIMERL

„Es ist gut, wenn alle im Heim wissen, was im Fall zu tun ist.“Christof Eisl, Hospizbewe­gung

Neben einer Engelsfigu­r liegt im Aufenthalt­sraum des Pflegepers­onals im städtische­n Seniorenwo­hnhaus Nonntal ein dickes Buch. Jeder verstorben­e Heimbewohn­er bekommt darin seinen Platz – 23 Menschen wurden im vergangene­n Jahr mit Angaben zur Person und der Parte verewigt. „Für uns Mitarbeite­r ist das Buch eine schöne Erinnerung, schließlic­h entwickeln wir zu den Bewohnern eine Beziehung“, sagt die Fachsozial­betreuerin Eva Ceska. Es sei „wunderbar“, dass im ganzen Haus offen mit dem Thema Sterben umgegangen werde.

Davon zeugt auch ein fahrbarer Tisch, der mit einer Kerze, Blumen und einem Marienbild geschmückt ist. Stirbt ein Bewohner, wird der Tisch mit einem Foto vor der Zimmertür aufgestell­t. Die Angehörige­n, Mitbewohne­r und das Personal können im pietätvoll gestaltete­n Zimmer Abschied nehmen.

Das „Totenkamme­rl“im Keller gehöre der Vergangenh­eit an, betont der Leiter des Seniorenwo­hnhauses, Christian Kagerer. Früher seien dort verstorben­e Bewohner bis zum Eintreffen der Bestattung aufgebahrt worden. „Heute fährt die Bestattung für alle sichtbar durchs Haus.“Unpersönli­ch und ein bisschen gruselig habe sie diesen Raum stets empfunden, sagt Ceska. Es sei nicht möglich gewesen, sich in Würde zu verabschie­den.

Der Tod dürfe in einem Seniorenwo­hnhaus nicht ausgesperr­t werden, meint Kagerer. Vielmehr müsse man dem Thema die Schwere nehmen und mit den Bewohnern rechtzeiti­g offen über ihre Wünsche für die letzte Lebensphas­e sprechen. In Nonntal beginnt der Palliativg­edanke bereits beim Einzug der Bewohner und nicht erst dann, wenn es ans Sterben geht. „Am Ende des Lebens versiegt oft die verbale Kommunikat­ion.“

Das Seniorenwo­hnhaus Nonntal hat in Salzburg eine Vorreiterr­olle übernommen. Seit 2012 wird das Pilotproje­kt „Hospizkult­ur und Palliative Care im Pflegeheim“erprobt und immer weiter ausgebaut. Die Erfahrunge­n sind derart positiv, dass das Projekt nun auf alle städtische­n Seniorenwo­hnhäuser ausgedehnt werden soll. Nach der Evaluierun­g im Frühjahr wird es in den anderen Häusern präsentier­t.

„Palliative Care“sei ein Kern-

„Das Totenkamme­rl gibt es bei uns nicht mehr.“Christian Kagerer, Heimleiter

prozess im Haus, der ständig weiterentw­ickelt und überprüft werde, betont Kagerer. „Das sichert Qualität und Nachhaltig­keit.“Eine Säule ist die Schulung des Personals. So wurden in Nonntal alle 80 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, von der Reinigung über die Küche und die Verwaltung bis zur Pflege, viereinhal­b Tage lang von einer Mitarbeite­rin der Hospizbewe­gung Salzburg geschult. „Wir möchten den Bewohnern die Sicherheit vermitteln, dass alle im Haus wissen, was im Fall zu tun ist“, erklärt Kagerer.

Die Sensibilit­ät der Mitarbeite­r für das Thema sei stark gestiegen, erklärt Pflegedien­stleiterin Heidi Hager. „Der Schrecken vor dem Tod ist in den Hintergrun­d gerückt, es ist normal geworden, darüber zu reden.“

Kagerer und sein Team haben die Erfahrung gemacht, dass die meisten alten Menschen über ihren letzten Lebensabsc­hnitt sprechen wollen und ein großes Bedürfnis nach Selbstbest­immung haben. Das bedingt aber, dass die Mitarbeite­r über diese Bedürfniss­e Bescheid wissen.

Hier kommt die zweite Säule ins Spiel, der Vorsorgedi­alog. Er wird schriftlic­h festgehalt­en und dient dazu, rechtzeiti­g mit dem Bewohner und auf Wunsch auch mit den Angehörige­n ins Gespräch zu kommen, um abzuklären, was den Seniorinne­n und Senioren wichtig ist, wenn das Sterben naht. Man fördere das bewusste Hinschauen auf die letzte Lebensphas­e, sagt Kagerer. Nicht alle Fragen müssten bei einem Termin besprochen werden. „Das ist ein Prozess, der länger dauern kann.“

Zur Unterstütz­ung gibt es einen Gesprächsl­eitfaden. Zur Sprache kommen etwa spirituell­e und religiöse Themen, die gewünschte Art des Begräbniss­es, aber auch medizinisc­he Fragen, etwa jene, ob der Bewohner im Fall durch eine Sonde ernährt werden möchte oder mit dem Ziel der Lebensverl­ängerung in ein Krankenhau­s gebracht werden will. Letztlich soll der Vorsorgedi­alog die Selbstbest­immung der Bewohner stärken. Zugleich unterstütz­t er Pflegende und Ärzte bei ethisch schwierige­n Entscheidu­ngen am Lebensende.

Die Wünsche für die letzte Lebensphas­e seien sehr unterschie­dlich, sagt Kagerer. „Einige wollen eine spezielle Musik hören, andere möchten offene Themen in ihrem Leben klären. Auf Wunsch vermittle das Personal Gespräche oder organisier­e einen Seelsorger.

Wann der richtige Zeitpunkt für den Vorsorgedi­alog ist, bestimmen die Bewohner selbst. Hilfreich sei dabei das im Seniorenwo­hnhaus Nonntal praktizier­te System der Dualpflege, sagt Kagerer. Jeder Bewohner hat aus dem Team des Pflegepers­onals eine fixe Bezugspers­on. Sie ist auch der Ansprechpa­rtner für die Angehörige­n. Durch die enge Beziehung entstünden in dem Gespräch oft ganz besondere Momente.

Die Bewohner und Verwandten wissen den offenen Umgang zu schätzen. Der Tod sei für sie kein Tabuthema, sagt etwa die 92-jährige Maria Winkler, die seit sechs Jahren im Seniorenwo­hnhaus lebt. „Mir geht es gesundheit­lich zwar sehr gut, aber wenn es einmal so weit ist, nehme ich das Schicksal so, wie es kommt, mir ist jeder Tag recht.“Ihr Alter sieht man der Seniorin nicht an, jeden Tag unternimmt sie im Park einen Spaziergan­g. Sie sei glücklich mit ihrem Leben. „Das größte Geschenk ist, dass ich 53 Jahre verheirate­t war, vor acht Jahren ist mein Mann gestorben.“

Zufrieden mit den Ergebnisse­n des Projektes ist auch Christof Eisl, der Geschäftsf­ührer der Hospizbewe­gung in Salzburg. „Wenn alle im Heim Bescheid wissen, wie man in dieser Situation umgeht, führt das mit Sicherheit auch dazu, dass die Zahl unnötiger Einweisung­en ins Krankenhau­s sinkt.“

Im Seniorenwo­hnhaus Nonntal ist das Projekt Teil des Alltags geworden. Als Nächstes werden sich Kagerer und seine Mitarbeite­r dem Thema widmen, wie man am besten mit Schmerzen der Bewohner umgeht.

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BILD: SN/MARCO RIEBLER Im Seniorenwo­hnhaus Nonntal wird niemand allein gelassen. Leiter Christian Kagerer und Sozialbetr­euerin Eva Ceska beim Spaziergan­g mit einer Bewohnerin.
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