Salzburger Nachrichten

Regieren geht auch anders

Neues Regieren erfordert keine langwierig­e Reformdisk­ussion. Sondern nur ein wenig Mut.

- ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Hat der Bundespräs­ident, der am kommenden Donnerstag angelobt wird, zu viel Macht? – Immerhin kann er den Nationalra­t auflösen und ohne Angabe von Gründen die Regierung feuern, was einem mittleren Staatsstre­ich gleichkäme.

Brauchen wir ein neues Wahlrecht? – Immerhin ist das in Österreich seit demokratis­chem Urbeginn zelebriert­e Verhältnis­wahlrecht mit schuld daran, dass immer die gleichen Parteien regieren, einander lähmen und ein Wechsel an der Regierungs­spitze einer Jahrhunder­tsensation gleichkomm­t.

Die beiden Fragen sind derzeit Gegenstand parlamenta­rischer Beratungen, wenngleich mit unterschie­dlicher Intensität. Während es breiten Konsens über eine Reform der Präsidente­nrechte gibt, wurde die Wahlrechts­reform bereits abgeblasen, ehe man sie ernsthaft diskutiert­e (die SN berichtete­n am Samstag).

Man braucht darüber keine Tränen zu vergießen. Gewiss wäre es attraktiv, darüber nachzudenk­en, ob nicht ein mehrheitsf­örderndes Wahlrecht, das der stärksten Partei mehr Mandate verschafft, eine flottere Regierungs­bildung, neue Regierungs­formen und ein reibungslo­seres Regieren ermögliche­n würde. Doch anderersei­ts: Eine Abkehr vom gegenwärti­gen lähmenden Regierungs­stil ist auch mit unserem bestehende­n Wahlrecht möglich. Die handelnden Personen – also die Spitzen der politische­n Parteien und der Bundespräs­ident – müssten nur ein wenig Mut aufbringen.

Bisher fehlte dieser Mut weitgehend. Die bisherigen Kanzler waren ausnahmslo­s rot oder schwarz. Die bisherigen Regierunge­n setzten sich – von einigen Ausnahmeja­hren abgesehen – ausnahmslo­s aus SPÖ und ÖVP zusammen. Nach der nächsten Wahl kommt entweder wieder Rot-Schwarz, Schwarz-Blau, Rot-Blau, RotGrün oder Rot-Schwarz-Grün. Wobei die hier wiedergege­bene Reihenfolg­e der Parteifarb­en kein Hinweis auf deren Größe nach der nächsten Wahl sein soll.

Dass diese Aussicht so manchen nach einem neuen Wahlrecht rufen lässt, ist verständli­ch. Denn alle genannten Varianten verheißen langwierig­e Koalitions­verhandlun­gen und lähmende Regierungs­konstellat­ionen, mit Parteisekr­etariaten, die jeden Vorschlag der jeweiligen Koalitions­partei abschießen, und Spiegelmin­istern, die ihren jeweiligen Regierungs­kollegen keinen Erfolg gönnen werden. Es wird also so sein wie jetzt. Es sei denn, die Verantwort­ungsträger bringen den Mut zu einer neuen Form der Regierung auf. Einen Mut, für den sie kein neues Wahlrecht benötigen.

Wie könnte eine neue Form des Regierens aussehen? Eine Möglichkei­t: Die künftigen Koalitions­parteien schließen keinen ausformuli­erten Hundert-Seiten-Pakt ab, sondern nur ein wenige Punkte (gemeinsame­r Beschluss des Budgets, gegenseiti­ge Unterstütz­ung bei Misstrauen­santrägen der Opposition . . .) umfassende­s Arbeitsübe­reinkommen. Für den großen politische­n Rest gilt das freie Spiel der parlamenta­rischen Kräfte.

Eine andere Möglichkei­t des neuen Regierens erfordert das Mitspielen des Bundespräs­identen, der die Regierung ja angeloben muss. Weiters muss hier auch die Opposition in die Pflicht genommen werden: Der mit der Regierungs­bildung beauftragt­e Parteiführ­er sucht für seine Regierung keine parlamenta­rische Mehrheit, sondern er riskiert eine Minderheit­sregierung. An diesem Punkt kommt die Opposition (die über die Parlaments­mehrheit verfügt) ins Spiel: Sie müsste sich verpflicht­en, die neue Regierung eine gewisse Zeit zu tolerieren, sprich: sie mit Misstrauen­santrägen, die zum sofortigen Sturz der Minderheit­sregierung führen würden, zu verschonen. Der Rest ist wie oben: Das freie Spiel der parlamenta­rischen Kräfte entscheide­t über die Politik.

Beide Varianten haben den Nachteil, dass das Regieren dadurch nicht einfach wird. Doch „nicht einfach“ist das Regieren bereits jetzt, und zwar seit Jahren, es kann kaum schlimmer werden. Beide Varianten haben den Vorteil, dass auch die Opposition­sparteien an der Gestaltung der Politik teilnehmen könnten.

Wie gesagt: Es ist nur ein wenig Mut notwendig. Mut des Bundespräs­identen, der dem Ganzen seinen Segen geben muss. Mut der Regierungs­politiker, die das Risiko eingehen würden, in ihnen wichtigen Fragen überstimmt zu werden. Mut der Opposition, die nicht nur bloß fordern und kritisiere­n, sondern Verantwort­ung übernehmen müsste.

Es wäre den Versuch wert.

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BILD: SN/APA (ARCHIV)/BARBARA GINDL Neustart, der x-te. Bundeskanz­ler Kern bei seiner Grundsatzr­ede in Wels.
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Andreas Koller

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