Regieren geht auch anders
Neues Regieren erfordert keine langwierige Reformdiskussion. Sondern nur ein wenig Mut.
Hat der Bundespräsident, der am kommenden Donnerstag angelobt wird, zu viel Macht? – Immerhin kann er den Nationalrat auflösen und ohne Angabe von Gründen die Regierung feuern, was einem mittleren Staatsstreich gleichkäme.
Brauchen wir ein neues Wahlrecht? – Immerhin ist das in Österreich seit demokratischem Urbeginn zelebrierte Verhältniswahlrecht mit schuld daran, dass immer die gleichen Parteien regieren, einander lähmen und ein Wechsel an der Regierungsspitze einer Jahrhundertsensation gleichkommt.
Die beiden Fragen sind derzeit Gegenstand parlamentarischer Beratungen, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität. Während es breiten Konsens über eine Reform der Präsidentenrechte gibt, wurde die Wahlrechtsreform bereits abgeblasen, ehe man sie ernsthaft diskutierte (die SN berichteten am Samstag).
Man braucht darüber keine Tränen zu vergießen. Gewiss wäre es attraktiv, darüber nachzudenken, ob nicht ein mehrheitsförderndes Wahlrecht, das der stärksten Partei mehr Mandate verschafft, eine flottere Regierungsbildung, neue Regierungsformen und ein reibungsloseres Regieren ermöglichen würde. Doch andererseits: Eine Abkehr vom gegenwärtigen lähmenden Regierungsstil ist auch mit unserem bestehenden Wahlrecht möglich. Die handelnden Personen – also die Spitzen der politischen Parteien und der Bundespräsident – müssten nur ein wenig Mut aufbringen.
Bisher fehlte dieser Mut weitgehend. Die bisherigen Kanzler waren ausnahmslos rot oder schwarz. Die bisherigen Regierungen setzten sich – von einigen Ausnahmejahren abgesehen – ausnahmslos aus SPÖ und ÖVP zusammen. Nach der nächsten Wahl kommt entweder wieder Rot-Schwarz, Schwarz-Blau, Rot-Blau, RotGrün oder Rot-Schwarz-Grün. Wobei die hier wiedergegebene Reihenfolge der Parteifarben kein Hinweis auf deren Größe nach der nächsten Wahl sein soll.
Dass diese Aussicht so manchen nach einem neuen Wahlrecht rufen lässt, ist verständlich. Denn alle genannten Varianten verheißen langwierige Koalitionsverhandlungen und lähmende Regierungskonstellationen, mit Parteisekretariaten, die jeden Vorschlag der jeweiligen Koalitionspartei abschießen, und Spiegelministern, die ihren jeweiligen Regierungskollegen keinen Erfolg gönnen werden. Es wird also so sein wie jetzt. Es sei denn, die Verantwortungsträger bringen den Mut zu einer neuen Form der Regierung auf. Einen Mut, für den sie kein neues Wahlrecht benötigen.
Wie könnte eine neue Form des Regierens aussehen? Eine Möglichkeit: Die künftigen Koalitionsparteien schließen keinen ausformulierten Hundert-Seiten-Pakt ab, sondern nur ein wenige Punkte (gemeinsamer Beschluss des Budgets, gegenseitige Unterstützung bei Misstrauensanträgen der Opposition . . .) umfassendes Arbeitsübereinkommen. Für den großen politischen Rest gilt das freie Spiel der parlamentarischen Kräfte.
Eine andere Möglichkeit des neuen Regierens erfordert das Mitspielen des Bundespräsidenten, der die Regierung ja angeloben muss. Weiters muss hier auch die Opposition in die Pflicht genommen werden: Der mit der Regierungsbildung beauftragte Parteiführer sucht für seine Regierung keine parlamentarische Mehrheit, sondern er riskiert eine Minderheitsregierung. An diesem Punkt kommt die Opposition (die über die Parlamentsmehrheit verfügt) ins Spiel: Sie müsste sich verpflichten, die neue Regierung eine gewisse Zeit zu tolerieren, sprich: sie mit Misstrauensanträgen, die zum sofortigen Sturz der Minderheitsregierung führen würden, zu verschonen. Der Rest ist wie oben: Das freie Spiel der parlamentarischen Kräfte entscheidet über die Politik.
Beide Varianten haben den Nachteil, dass das Regieren dadurch nicht einfach wird. Doch „nicht einfach“ist das Regieren bereits jetzt, und zwar seit Jahren, es kann kaum schlimmer werden. Beide Varianten haben den Vorteil, dass auch die Oppositionsparteien an der Gestaltung der Politik teilnehmen könnten.
Wie gesagt: Es ist nur ein wenig Mut notwendig. Mut des Bundespräsidenten, der dem Ganzen seinen Segen geben muss. Mut der Regierungspolitiker, die das Risiko eingehen würden, in ihnen wichtigen Fragen überstimmt zu werden. Mut der Opposition, die nicht nur bloß fordern und kritisieren, sondern Verantwortung übernehmen müsste.
Es wäre den Versuch wert.