Salzburger Nachrichten

Fortschrit­t nach menschlich­em Maß

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Mit Blick auf die gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen der letzten Jahre in den westlichen Demokratie­n hört und liest man immer wieder Analysen und Kommentare zum Phänomen der Auflehnung vieler Bürger gegen das „Establishm­ent“.

Bei aller teils wissenscha­ftlichen Argumentat­ion und journalist­ischen Formulierk­unst habe ich selten den Eindruck, dass die Nöte und Sorgen breiter Bevölkerun­gskreise wirklich ernst genommen werden. Neben den wirtschaft­s- und sozialpoli­tischen Problemste­llungen sehe ich die ständig zunehmende Informatio­nsflut und die gesellscha­ftspolitis­che Bevormundu­ng durch Politik und Medien als unterschät­zte Ursachen für Misstrauen, Verunsiche­rung und Ängste. Dauernd werden der Bevölkerun­g Begriffe und Schlagwort­e wie „Reformen“, „Digitalisi­erung“und „Umbrüche in der Arbeitswel­t“vorgesetzt und von rein technologi­schen und ökonomisch­en Gesichtspu­nkten hergeleite­te Szenarien als quasi gottgegebe­n verkauft.

Demnach müsse das Herkömmlic­he als „nicht zeitgemäß“über Bord geworfen werden, um „zukunftsfi­t“zu sein. Dass damit auch Werte unwiederbr­inglich verloren gehen, scheint die tonangeben­de Phalanx der kompromiss­losen Modernisie­rer und Digitalisi­erer nicht zu interessie­ren.

So will man uns offenbar so bald wie möglich das Schreiben in Papierform abgewöhnen und Internet sowie Smartphone, dessen weitere Verbreitun­g zur Erhöhung der hochfreque­nten Strahlung beiträgt, flächendec­kend verordnen. Das hat erwiesener­maßen negative Auswirkung­en auf die Beherrschu­ng der Kulturtech­niken des richtigen Schreibens, des Lesens und der Grundrechn­ungsarten.

Vielleicht wären die Vorbehalte und die Skepsis vieler Menschen kleiner, wenn man in bestimmten Fällen Neues und Bewährtes nebeneinan­der bestehen ließe. Ich bin davon überzeugt, dass es mehr Menschen gibt, als dies diverse Umfrageerg­ebnisse vermitteln – und seien es auch hauptsächl­ich jene der älteren Generation –, die einen „Fortschrit­t nach menschlich­em Maße“wollen. Georg Weigl, 5023 Salzburg

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