Kanadas Muslime haben Angst
In Kanada häufen sich seit einigen Jahren antiislamische Vorfälle. Der Anschlag auf eine Moschee war ein trauriger Höhepunkt.
Nach dem tödlichen Anschlag in Québec stehen viele Muslime in Kanada unter Schock und fürchten um ihre Sicherheit. „Viele von uns haben dieser Tage Angst, mehr als Angst“, berichtet Samer Majzoub, ein Finanzberater aus Montréal. „Viele muslimische Eltern überlegen sich jeden Morgen, ob sie ihre Kinder noch in die Schule schicken können. Wir hätten nie geglaubt, dass uns das in Kanada je passieren würde.“
Am Sonntag war ein Attentäter in eine Moschee in der Stadt Québec eingedrungen, hatte sechs Männer erschossen und weitere zum Teil schwer verletzt. Angeklagt ist ein 27-jähriger frankokanadischer Student, der sich offenbar seit Längerem mit rechtem Gedankengut trug.
Kanada vertritt eine Politik der offenen Türen. Eine Haltung, die Premier Justin Trudeau auch nach der Tat nicht aufgeben will. „Dies war ein Angriff auf die innersten Werte Kanadas, die Werte der Offenheit, der Vielfalt und der Religionsfreiheit. Wir werden dadurch nicht eingeschüchtert.“
Samer Majzoub, der auch für einen muslimischen Interessenverband tätig ist, lobte Trudeau zwar für seine Solidarität und Glaubwürdigkeit. Zugleich wies er aber darauf hin, dass islamophobe Vorfälle in Kanada gestiegen seien. Zwischen 2012 und 2014 hat sich die Zahl der antiislamischen Hassverbrechen laut Polizei fast verdoppelt, von 45 auf 99 im Jahr.
„Wir beobachten mehr gewalttätige Attacken als früher. Leider ist die Hemmschwelle gesunken“, berichtet Majzoub. Als Reaktion würden viele muslimische Gotteshäuser stärker überwacht, Gemeindemitglieder seien vorsichtiger. Gebrochene Glasscheiben, Schmierereien und verbale Ausfälle gehörten bei vielen Moscheen zum Alltag.
Für viele Muslime ist dies Folge der islamophoben Rhetorik in Gesellschaft und Politik – vor allem in den USA, punktuell aber auch in Kanada. „Leider gibt es immer mehr Äußerungen, die Angst, Fremdenfeindlichkeit und Fanatismus verbreiten – um eines politischen Vorteils willen“, klagt Amira Elghawaby vom Nationalverband der kanadischen Muslime.
Der ehemalige Premierminister Stephen Harper hatte etwa im Wahlkampf 2015 vorgeschlagen, Bürger sollten sogenannte „barbarische kulturelle Praktiken“über eine Hotline an den Staat melden. Eine der Kandidatinnen für den Vorsitz der Konservativen wirbt derzeit mit der Forderung nach Gesinnungstests für Einwanderer um die Stimmen islamophober Mitglieder.
Besonders verbreitet sind antiislamische Ressentiments im französischsprachigen Teil Kanadas. „Québec hat aufgrund seiner Historie und kulturellen Isolation besondere Probleme mit dem Islam“, meint Extremismus-Expertin Barbara Perry vom University of Ontario Institute of Technology. Eine Umfrage von 2013 kam zu dem Ergebnis, dass 69 Prozent der Québecer eine negative Meinung zum Islam haben, gegenüber 54 Prozent der Kanadier außerhalb Québecs.
Laut Perry ist Québec seit den Sechzigerjahren, als die katholische Kirche in der Provinz ihre dominante Stellung verlor, die wohl säkularste Region in Kanada. Der Kampf um kulturelle Eigenständigkeit habe in Teilen der Bevölkerung nationalistische Reflexe entstehen lassen, die sich gegen alles Fremde und Nichtfranzösische richteten.
Verstärkt werden diese Probleme durch die Tatsache, dass Québec in den letzten Jahren einen deutlichen Zuzug von muslimischen Einwanderern zu verzeichnen hatte. Der Bevölkerungsanteil der Muslime in Québec hat sich laut Statistikbehörde zwischen 1991 und 2011 annähernd verfünffacht. Gut drei Prozent aller Bewohner sind heute muslimischen Glaubens.
Nicht ganz zufällig war es die ehemalige separatistische Regierung von Pauline Marois, die 2014 den muslimischen Gesichtsschleier Niqab aus Teilen des öffentlichen Lebens verbannen und eine Charta von „Québecer Werten“einführen wollte. Von vielen Muslimen, aber auch von anderen Minderheiten wurde das als diskriminierend empfunden.
Muss das weltoffene Image Kanadas, das Premier Justin Trudeau unverdrossen pflegt, grundlegend korrigiert werden? Nicht so schnell, meint Perry. „Im internationalen Vergleich geht es in Kanada weiterhin sehr gesittet zu, die liberalen Traditionen sind uns quasi in den Genen und die Zivilgesellschaft ist stark. Allerdings dürfen wir unseren Kopf nicht vor den Problemen in den Sand stecken“, meint die Expertin.
Amira Elghawaby vom Nationalverband der Muslime ist ermutigt von der Welle an Solidarität, die derzeit durch Kanada rollt. Zehntausende haben an Mahnwachen teilgenommen und Flagge gezeigt für das tolerante und bunte Kanada. „Viele Muslime trösten sich mit der Liebe und Unterstützung aus dem ganzen Land. Gemeinsam werden wir den Hass besiegen.“
„Québec hat wegen seiner Geschichte die größten Probleme mit dem Islam.“