Nach dem Terror kommt die Hungersnot über Nigeria
Millionen im Nordosten des Landes brauchen Lebensmittel. Auf die EU könnte eine neue Flüchtlingswelle zukommen.
In vielen Dörfern sind die Schwächsten schon tot, in manchen Orten gibt es keine Kleinkinder mehr im Alter von zwei bis vier Jahren, wie die Vereinten Nationen aus Nigeria berichten. Etwa 200 Kleinkinder sterben dort jeden Tag an den Folgen des Hungers.
Nachdem die islamistische Terrororganisation Boko Haram vom Militär zurückgedrängt wurde, zeigt sich den Helfern in den wieder zugänglichen Gebieten nun ein Bild des Schreckens. Wer noch Kraft habe, marschiere mehrere Tage zur nächsten Krankenstation, schildern Helfer aus dem Nordosten des Landes. „Die Menschen kommen ausgehungert und durstig bei unserer Klinik an“, sagt Frauke Ossig von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. „Am schlimmsten ist es, wenn Menschen erzählen, welche Familienmitglieder sie nicht mitnehmen konnten, weil diese zu schwach zum Laufen waren.“
Im Nordosten Nigerias und in den angrenzenden Gebieten der Nachbarstaaten Niger, Tschad und Kamerun sind nach Angaben der Vereinten Nationen in diesem Jahr über sieben Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Mehr als 500.000 Kinder leiden an akuter Mangelernährung – ein lebensgefährlicher Zustand. Es könnten dort „Hunderttausende Menschen sterben“, warnt Toby Lanzer, der UNO-Nothilfe-Koordinator für die Sahelzone.
Für den Hilfseinsatz veranschlagt die UNO in diesem Jahr Kosten von rund 1,5 Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro). Am 24. Februar wird in Oslo eine Geberkonferenz abgehalten. „Wenn die internationale Gemeinschaft jetzt nicht einschreitet, dann wird die Krise noch schlimmer. Es wird dann noch mehr kosten, ihr beizukommen“, sagt Lanzer. In der Hilfe sieht er auch eine Bekämpfung von Fluchtursachen: Wenn Menschen vor Ort keine Zukunft mehr hätten, würden künftig immer mehr von ihnen nach Europa fliehen, warnt er.
Militärisch kann Nigerias Präsident Muhammadu Buhari Erfolge im Kampf gegen Boko Haram vorweisen. Doch mit dem Ausmaß der humanitären Krise ist die Regierung des ölreichen Landes überfordert. Das liegt auch am niedrigen Ölpreis und dem Einbruch der Förderungen. Die Landeswährung Naira hat bereits drastisch an Wert verloren.
Auch das Gesundheitssystem der Region ist wegen der Boko-HaramGewalt großteils zusammengebrochen. Kleinkinder wurden nicht mehr geimpft, was nun zu Masernepidemien geführt hat. Zudem gab es zwei Jahre nach der vermeintlichen Ausrottung der Kinderlähmung in ganz Afrika in dem Gebiet erstmals wieder Krankheitsfälle.
Hinzu kommt, dass sunnitische Fundamentalisten im Nordosten des Landes immer noch Anschläge verüben. Erst am Dienstag hatte sich eine erst zehnjährige Selbstmordattentäterin im Bundesstaat Borno in die Luft gesprengt.
Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram hat in der Vergangenheit wiederholt Frauen und junge Mädchen entführt, versklavt oder als Selbstmordattentäterinnen eingesetzt. Seit 2009 kämpft die Gruppe für die Errichtung eines Gottesstaats. 20.000 Menschen wurden in dem Konflikt seither getötet, 2,6 Millionen flüchteten.