Der Blick in die eigene Nazifamilie schmerzt
Schmerzhaft ist der Blick, den Friedemann Derschmidt wagt. Wenn’s ums Vergessen und Verdrängen von Gräuel geht, wird es dann besonders heikel, wenn es sich um die eigene Familie dreht. Genau in deren Abgründe blickt Derschmidt. Dazu begann der 1967 in Salzburg geborene Künstler ein Experiment. Er hatte einen guten Anlass. Sein Urgroßvater war Heinrich Reichel, führender Rassenhygieniker und einer der Ersten, der die Rassenhygiene in Studienpläne einbaute. Viele Familienmitglieder Derschmidts waren – im Gegensatz zu seinem Urgroßvater – auch Mitglieder der NSDAP und auch Offiziere bei der SA und der SS. Derschmidt spürt den Verwicklungen in die nationalsozialistische Ideologie nach und fragt vor allem, wie es dabei mit einer möglichen „Vererbung“solcher Ideologien aussieht.
Dazu entstand eine Website. Dort wuchs mit der Zeit eine weitverzweigte Mindmap, die Anhaltspunkte auf mögliche Gründe gibt, warum eine Familie so tief und generationenübergreifend in die NSIdeologie verstrickt war. Aus diesem Projekt mit dem Titel „Reichel komplex“wurde mittlerweile das Buch „Sag du es deinem Kinde!“.
Es wird anschaulich, dass – wie einst Hannah Arendt festgestellt hatte – keineswegs nur Monster und Gangster für die Naziverbrechen zuständig waren. Und es waren auch nicht irgendwelche Anderen. Es waren Väter und Mütter, Tanten und Onkel – und über sie wird in der Familie geschwiegen.
Ähnliches wie Derschmidt tut Sacha Batthyany in seinem Buch „Und was hat das mit mir zu tun?“, das für den Debütpreis des Österreichischen Buchpreises 2016 nominiert war und kommende Woche in Salzburg vorgestellt wird. Während auf dem Schloss seiner Großtante im März 1945 in Rechnitz ein Fest für die lokale NS-Prominenz abgehalten wurde, wurden in derselben Nacht ganz in der Nähe ungarischjüdische Zwangsarbeiter erschossen. Vor diesem familiären Hintergrund wächst eine Geschichte zu den Fragen: „Welche Erzählungen lässt man zu? Welche Wahrheiten zimmert man über sich? Was gibt man weiter und worüber schweigt man lieber?“ Lesungen: