Wir wissen zu wenig über Daten
Sie bieten Chancen und bergen Gefahren, verändern unsere Lebensund Arbeitswelt – dennoch können die wenigsten mit Daten richtig umgehen. Zeit umzudenken, die Zukunft gehört den Daten-Reichen.
In zwei Stunden werden derzeit mehr Daten generiert, als in Summe alle Bücher unserer Welt enthalten. Unser Leben wird zunehmend von Daten und Rückschlüssen daraus bestimmt. Die SN sprachen mit Herbert Jodlbauer, Leiter der Studiengänge Produktion und Management und Operations Management an der FH Oberösterreich, über das Wesen von Daten.
SN: Sie beschreiben in Ihrem Buch „Die Datenspinne“, wie mächtig Daten sind. Was kann man mit Daten nicht machen?
Jodlbauer: Daten können sehr viel, in sozialen Netzwerken sogar Gefühle wie Liebe und Hass transportieren. Daten sind aber immer ein virtuelles Gebilde. Sie können demnach unsere Grundbedürfnisse wie Wärme oder Nahrung nicht erfüllen. Dennoch werden in der Arbeitswelt von morgen physische Produkte an Bedeutung verlieren. Geld wird man vor allem mit Daten verdienen.
SN: Unsere Arbeitswelt wird sich also stark verändern?
Der Computer kann schneller, verlässlicher und billiger viele Daten verarbeiten, analysieren und verdichten. Eine der Haupttätigkeiten in hoch angesehenen Berufen wie Arzt oder Flugzeugpilot ist genau dieses Analysieren großer Datenmengen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Berufe drastisch ändern oder sogar von intelligenten Maschinen ersetzt werden. Bereits heute fliegt der Computer das Flugzeug genauso verlässlich wie der Mensch, und Computerprogramme können in manchen Bereichen qualitativ gleichwertige Diagnosen stellen wie ein Ärzteteam.
SN: Daten sind aber immer rückwärtsgewandt. Kann man mit datenbasierten Instrumenten die Zukunft gestalten?
Es stimmt, Prognosemodelle schreiben immer die Vergangenheit fort. Die Entwicklung von Big Data geht aber weiter. Man spricht von vier Stufen: 1) die Vergangenheit nachvollziehen, 2) Ursachen verstehen, 3) die Zukunft vorhersagen und 4) erfahren, was man jetzt tun muss, damit sich die Welt so verändert, wie man will.
SN: Würde bei einer derart exzessiven Nutzung von Daten und absoluter Vorhersehbarkeit nicht die Würze im Leben fehlen?
Was die Digitalisierung bringt, ist, dass Maschinen Dinge übernehmen, die uns lästig sind. Wir haben dadurch aber auch mehr Zeit, die wir hoffentlich zu nutzen wissen.
SN: Haben wir Computern überhaupt etwas entgegenzusetzen? Der Speicher unseres Gehirns entspricht ja nur 400 Spielfilm-DVDs. Nicht viel . . .
Das ist kein fairer Vergleich. Das Gehirn speichert ganz anders als ein Computer. Bei Geschwindigkeit und Präzision ist die Maschine zwar im Vorteil. Der Mensch vergisst, macht es einmal so und einmal wieder ganz anders. So entstehen aber auch Innovation und Kreativität.
SN: Vergessen ist also besser als blindes Datensammeln?
Vergessen ist in vielerlei Hinsicht wichtig. Zum Beispiel als Schlüssel für gutes Zusammenleben. Daten gehen aber auch in der virtuellen Welt verloren. Andere vorhandene Daten haben keine Relevanz. Wieder andere Daten, Fotos zum Beispiel, werden zu Tausenden gesammelt und nie wieder angesehen.
SN: Geht bei vielen Daten nicht auch der Kontext verloren?
Ich würde noch weiter gehen: Oft wird bewusst Falsches aus Daten herausgelesen. Denken Sie an das Phänomen der Filterblase in sozialen Medien. Dort wird man durch gesammelte Daten und die Verstärkung der eigenen Meinung in eine Richtung gedrängt. Bis zur Entgleisung unserer Gesellschaft.
SN: Beherrschen Datensammler wie Facebook, Amazon oder der Staat den Kontext? Ich würde sagen: Nein. SN: Warum verschenken wir dann so viel Kapital in Form von Daten an die Daten-Reichen?
Dem Einzelnen ist nicht klar, dass seine Daten viel wert sind. Denken Sie an Verkehrsdaten, die bei Autofahrten durch Handys gesammelt werden. Netzbetreiber verkaufen diese Daten an Navihersteller, damit sie Staus vorhersagen können. In manchen Ländern verkaufen Navihersteller aber auch Geschwindigkeitsdaten an Behörden, damit die ihre Radargeräte noch treffsicherer aufstellen können. DatenArme schauen so doppelt durch die Finger.